Forschende haben analysiert, wie stark sich Falschinformationen über die Coronavirus-Pandemie verbreiten. Dabei haben sie festgestellt, dass es inzwischen eine richtige Infrastruktur für die Verbreitung von Verschwörungsglaube im Netz gibt. Prominente spielen dabei eine große Rolle.

Das neuartige Coronavirus hat viele Fragen aufgeworfen: Wo hat es seinen Ursprung? Gibt es jemanden, der die Schuld daran trägt, dass es sich überhaupt so weit ausbreiten konnte? War der Shutdown in Deutschland wirklich nötig oder hätte das auch anders geregelt werden können?

Im Netz gibt es viel Stimmen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten mit Meinungen und Theorien zu der Coronavirus-Pandemie und den Folgen geäußert haben. Einige, darunter der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen, Xavier Naidoo oder der Koch Attila Hildmann wähnen die ganz große Staats- oder sogar Weltverschwörung.

Jakob Guhl forscht unter anderem zu Hass und Radikalisierung im Netz am Institut für Strategischen Dialog (ISD) in London. Der 29-Jährige hat sich mit einem Team aus Forschenden angeschaut, wer zurzeit besonders stark für Falschmeldungen rund um die Coronavirus-Pandemie sorgt.

Großes Spektrum an Meinungen zu Corona

Neben rechtsextremen Akteuren gibt es ein breites Spektrum an unterschiedlichen Meinungen: Einerseits gibt es Seiten im Netz, die eher politisch-ideologisch orientiert sind, andere werfen den Blick eher auf den Aspekt "Gesundheit und alternative Medizin". Außerdem gibt es Akteure mit finanziellen Interessen, die neben der Verbreitung von Meinungen ihren Followern vor allem etwas verkaufen wollen.

Verschwörungsglaube gegen Kontrollverlust

"Diese Krise bringt für uns alle einen ziemlichen Kontrollverlust mit sich. Und das macht vielen Leuten Angst", sagt Jakob Guhl. Verschwörungserzählungen geben dann ziemlich einfache Antworten auf komplexe Zusammenhänge.

"Durch Verschwörungstheorien kann man - zumindest gedanklich - einiges an Kontrolle wiedererlangen."
Jakob Guhl, Institut für Strategischen Dialog (ISD) London

Verschwörungsmythen haben einerseits die Funktion, ihren Anhängern das Gefühl zu geben, Kontrolle zurückzuerlangen, andererseits entstehe durch Verschwörungsglaube auch eine Ich-sehe-was-was-Du-nicht-siehst-Attitüde. Nach dem Motto: "Du glaubst also noch der Weltgesundheitsorganisation, der Bundesregierung und dem Robert-Koch-Institut? - Ich bin so schlau, ich habe dieses Spiel durchschaut."

Konjunktur der Falschinformationen

Facebook-Posts, in denen Seiten mit Falschinformationen verlinkt waren, hatten zwischen Januar und April etwa 80 Millionen Interaktionen, sagt Jakob Guhl. Posts, in denen die Weltgesundheitsorganisation verlinkt war, hatten im selben Zeitraum nur 6,2 Millionen Interaktionen.

"Es gibt ganze Online-Netzwerke und Infrastrukturen zur Verbreitung von Falschinformationen."
Jakob Guhl, Institut für Strategischen Dialog (ISD) London

Auffällig sei beispielsweise in Deutschland, dass die Verschwörungserzählungen der Gruppe QAnon eine sehr große Reichweite erreichen. Grund seien die prominenten Unterstützer dieser Gruppe.

In den USA betrachtet das FBI QAnon als eine terroristische Bedrohung. "Soweit sind wir in Deutschland noch nicht, aber in den USA hat es mehrere Fälle gegeben, in denen Anhänger dieser Theorie Gewalttaten vorbereitet oder durchgeführt haben."

Soziale Netzwerke: Gewinnmaximierung durch Aufmerksamkeit

Problem ist, dass soziale Netzwerke Unternehmen sind, die auf Gewinnmaximierung abzielen, sagt Jakob Guhl. Wenn bestimmte emotionale und polarisierende Inhalte viel Aufmerksamkeit bekommen, dann beeinflusse das wiederum die Algorithmen der Netzwerke.

Die ISD-Forschenden fordern deshalb mehr Transparenz der Algorithmen, die soziale Netzwerke anwenden. Außerdem sei mehr Forschung über extremistische Inhalte und Verschwörungsmythen im Netz notwendig, um noch mehr darüber zu wissen, wie sie funktionieren und sich verbreiten.

Shownotes
Forschung zu Verschwörungsmythen
Infrastruktur für Verschwörungsglaube im Netz
vom 09. Juni 2020
Gesprächspartner: 
Jakob Guhl forscht unter anderem zu Hass und Radikalisierung im Internet am Institut für Strategischen Dialog (ISD) in London
Moderator: 
Ralph Günther