Die 1,5-Grad-Grenze wird 2030 wahrscheinlich überschritten – was nicht heißen muss, dass die Erderwärmung dauerhaft so hoch sein wird.

Der Klimabericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist wahrscheinlich der umfassendste Bericht zum Zustand des Weltklimas. Der Bericht, der kürzlich erschienen ist, lässt sich interpretieren mit dem Satz: Es ist sehr kritisch, aber noch nicht zu spät. So ähnlich lauten auch viele Meldungen derzeit.

Die Frage ist allerdings: Wofür zu spät?

"Zu spät kann man nicht sagen", sagt Oliver Geden, Forscher unter anderem für Energie- und Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Gemeint ist: Es ist nie zu spät, noch etwas zu tun – zum Beispiel in erneuerbare Energien zu investieren und den CO2-Ausstoß zu senken.

"Viele Politikerinnen und Politiker wollen nicht darüber sprechen, dass wir nicht immer unter der 1,5-Grad-Temperatur-Erhöhung bleiben werden."
Oliver Geden, Forscher unter anderem für Energie- und Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Wofür es aber wohl tatsächlich zu spät ist: Das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Diese Grenze wird wahrscheinlich in den 2030er-Jahren überschritten – und damit ein wichtiges politisches Ziel verfehlt.

Oliver Geden hat den Eindruck, dass sich viele Politikerinnen und Politiker damit nicht auseinander setzen wollen – "weil es lange so klang, als würden wir den Klimaschutz aufgeben."

Dabei sei klar, was es bedeutet, wenn sich die Erde stärker erwärmt als um 1,5 Grad: Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und andere extreme Wetterereignisse werden noch stärker zunehmen als sowieso schon.

Zurück zu 1,5 Grad

Eines hätte in der Politik aber kaum jemand verstanden, sagt Oliver Geden: Dass das 1,5-Grad-Ziel eigentlich anders definiert ist als es oft kommuniziert wird. Gemeint sei nämlich eigentlich, dass man im 21. Jahrhundert wieder auf unter 1,5 Grad kommt – und zwar auch denn, wenn diese Grenze temporär überschritten worden ist.

"Man muss aber sagen: Das ist ein sehr viel schwächeres Ziel als 1,5 Grad gar nicht zu überschreiten", sagt Oliver Geden. Wenn es aber nicht so definiert worden wäre, wäre laut Oliver Geden schon im Jahr 2015 bei der Formulierung des Pariser Klimaschutz-Abkommens klar gewesen: Ein 1,5-Grad-Ziel ist zu ehrgeizig, das ist nicht zu schaffen.

Unabhängig von all dem: Es ist und bleibt die Hauptaufgabe, Emissionen schnell zu reduzieren, sagt Oliver Geden. Auf Technik zur CO2-Abscheidung zu verweisen, sei eine Ablenkung. Diese könnte ein bisschen helfen. Sie im großen Maßstab einzusetzen – "dafür haben wir nicht die Ressourcen".

Shownotes
Klimaforscher Oliver Geden
"Das 1,5-Grad-Ziel ist eigentlich anders definiert"
vom 25. März 2023
Moderation: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
Oliver Geden, Forscher unter anderem für Energie- und Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik