In den Spitzen von Verwaltung und Politik arbeiten zu wenige Menschen aus Ostdeutschland. Die Aktivistin Jeanette Gusko erklärt, warum das ein Problem ist.

Ostdeutsche sind unter Spitzenbeamtinnen und -beamten eine echte Seltenheit. Die Verwaltungselite in Deutschland wird deutlich von Westdeutschen dominiert. Unter Staatssekretärinnen und Staatssekretären und unter Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern in Bundesministerien und im Kanzleramt ist unter der neuen Rot-Grün-Gelben-Bundesregierung nur eine in Ostdeutschland aufgewachsene: Antje Draheim.

An der Universität Kassel haben sich Forschende die Biographien dieser Elite im historischen Verlauf genauer angesehen – angefangen beim Kaiserreich. Das Projekt des Fachbereichs Public Management heißt "Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen".

Bezogen auf die Ergebnisse seit der Wiedervereinigung sagt Jeanette Gusko: "Je höher eine Position angesiedelt ist, so zeigt sie es auch in der Studie, umso weniger Ostdeutsche gibt es." Sie ist im Netzwerk 3te Generation Ost aktiv. Es brauche ein umfassendes Bundesprogramm mit klaren Zielen zur Erhöhung des Anteils Ostdeutscher in Führungspositionen, findet sie.

Wendebiografie als Vorteil

Das sei auf zwei Ebenen sinnvoll: wertegeleitet und funktional. Erstens sei es richtig, wenn ostdeutsche Menschen in angemessenem Umfang Teil dieser Eliten wären. Zweitens funktionierten die Organisationen besser, weil sie mehr Perspektiven abbildeten, ist Jeanette Gusko überzeugt.

"Wendekinder können Antworten auf den Umgang mit Abwanderung, auf Digitalisierung oder Ähnliches finden."
Jeanette Gusko, 3te Generation Ost

Von einer dem Bevölkerungsanteil entsprechenden Repräsentativität der Ostdeutschen in der Verwaltungselite des Bundes ist dieser Anteil laut Studie noch weit entfernt. Zum Vergleich: Rund 12,5 Millionen Menschen lebten 2020 in Ostdeutschland, das waren zu diesem Zeitpunkt rund 15 Prozent der Bevölkerung. Als Anhaltspunkt: Die Untersuchung definierte diese Elite für die Regierungsjahre von Angela Merkel als Gruppe von 536 Personen.

©
Jeanette Gusko, 3te Generation Ost

Der Anteil Ostdeutscher an der politischen Elite liegt im Moment immerhin bei rund neun Prozent; berücksichtigt sind hier Menschen, die an Kabinettstischen arbeiten.

Benachteiligung als Problem

Diesen Gesamtzustand findet Jeanette Gusko aus mindestens drei Gründen problematisch:

  • Die Bevölkerung Ostdeutschlands fühle sich nicht vertreten.
  • Kenntnisse über die spezifischen Herausforderungen in Ostdeutschland fehlten bei Entscheidenden.
  • Erfahrungen aus ostdeutschen Kontexten streuten nicht über Spitzenpositionen in andere Regionen.

Eine unterbewusste Benachteiligung von ostdeutschen Menschen stehe offenbar bei vielen Personalentscheidungen im Hintergrund. So bleibe beispielsweise die Transformationskompetenz der Wendekinder unberücksichtigt. Eine ungehobene Ressource sei das, sagt Jeanette Gusko.

"Uns wird im Netzwerk dritte Generation Ost immer wieder berichtet, dass ostdeutsche und westdeutsche Abiturzeugnisse und Hochschulabschlüsse unterschiedlich gelesen und bewertet werden."
Jeanette Gusko, 3te Generation Ost
Shownotes
Geteilte Elite
In Verwaltung und Politik sind Ostdeutsche unterrepräsentiert
vom 14. Januar 2022
Moderatorin: 
Steffi Orbach
Gesprächspartnerin: 
Jeanette Gusko, 3te Generation Ost