Die Corona-Soforthilfe sollte für Kleinunternehmer, Freiberufler und Solo-Selbstständige eine Hilfe sein, um ihre Existenz zu sichern. Ein schneller und unbürokratischer Rettungsanker, gegen den viel Kritik aufkam – zum Beispiel aus der Veranstaltungsbranche.

Geht es um die Soforthilfe, stimmen für Sängerin Vera Klima Theorie und Realität nicht überein. Sie ist von der Politik enttäuscht, weil "es nach außen so gewirkt hat, dass allen geholfen wird. Ich finde, dass es in der Realität ganz anders aussieht. Nämlich so, dass meine Branche komplett im Regen stehen gelassen wird", erklärt sie.

Ihre persönliche Erfahrung mit der Soforthilfe hat sie Mitte Mai auf Facebook veröffentlicht. Dort schreibt sie, dass sie die Staatshilfe zwar bekommen habe, dann habe sie aber festgestellt, dass damit ausschließlich Betriebsausgaben bezahlt werden dürfen statt die Wohnungsmiete, die Rente oder Lebensmittel.

Theorie vs. Realität

Damit ging die Soforthilfe an der Lebenswirklichkeit vieler potenzieller Empfängerinnen und Empfänger vorbei. Musikkabarettist Jo van Nelsen berichtet zum Beispiel, dass viele Kunstschaffende zusätzliche Betriebskosten allgemein meiden würden. Zum Beispiel Kosten, die durch das Anmieten eines Proberaums entstehen. Zum Üben müsse demnach die eigne Wohnung herhalten. Das bedeutet wiederum: Ihre Ausgaben fielen nicht unter die Voraussetzungen für einen Antrag auf Soforthilfe.

"Das heißt: Wir werden gerade darauf hingewiesen, dass wir zu dusselig sind, Ausgaben zu machen, die wir jetzt für die Soforthilfe in Rechnung stellen können."
Jo van Nelsen, Musikkabarettist

Ähnlich sieht es für andere Künstler und Freiberuflerinnen aus, die von Veranstaltungen abhängig sind, wie Trainer und Coaches, Fotografinnen oder Dolmetscher. Manche von ihnen konnten den Schwerpunkt ihres Geschäftsmodells kurzfristig verlagern und weiterhin Geld verdienen, für andere bleibt nur der Antrag auf Hartz IV – obwohl sie sich nicht unbedingt als arbeitslos ansehen.

Gleiche Ausgangslage, ungleiche Hilfen

Die Corona-Sofothilfen sind wenig gerecht, findet Christian Neuhäuser, Professor für Praktische Philosophie an der Technischen Universität Dortmund. Denn die Politik würde vielmehr die Medienwirksamkeit ihrer Hilfsprogramme im Blick haben. Und ohne Lobby werden die Rufe der Betroffenen weniger gehört, erklärt er.

Für ihn ist klar: Sind Beschäftigungsgruppen unverschuldet durch die Sicherheitsmaßnahmen der Bundesregierung in die Krise geraten, braucht es für alle betroffenen Gruppen die gleiche Behandlung, sagt Christian Neuhäuser. Tatsächlich werde aber unterschiedlich stark geholfen.

Per Klick auf den Playbutton hört ihr das gesamte Gespräch mit Christian Neuhäuser.
"Gleiche Dinge ungleich behandeln, ist der Klassiker der Ungerechtigkeit."

In seinem Umfeld hat er zum Beispiel beobachtet, dass viele kleinere Läden, Restaurants und Co. in den letzten Wochen schließen mussten. Sie konnten ihre Existenz nicht sichern. Gleichzeitig möchte die Bundesregierung mehrere Milliarden Euro in die Rettung großer Unternehmen investieren – Stichwort: Lufthansa. Das könne einen Eindruck von Ungerechtigkeit erwecken.

Der Grund macht Gerechtigkeit deutlich

Die Aufgabe der Politik ist es daher, so der Philosoph, ihr Handeln differenziert und transparent zu erklären, und somit die Gründe verständlich zu machen. "Wenn es keine gute Begründung oder Erklärung gibt, ist man auch darin gerechtfertigt zu denken, das war jetzt nicht fair", sagt er.

Shownotes
Hilfsprogramme der Bundesregierung
Corona-Soforthilfe: Zweifel an der Gerechtigkeit
vom 27. Juni 2020
Moderator: 
Thilo Jahn
Autor: 
Martin Krinner, Deutschlandfunk Nova
Gesprächspartner: 
Christian Neuhäuser, Professor für Praktische Philosophie an der Technischen Universität Dortmund