BoysoberWann geht's uns ohne Dating besser?

Lena datet nicht mehr aktiv. Denn sie hat beschlossen, dass sie in ihrem Leben sich und keinen Mann in den Mittelpunkt stellen möchte. Sie fühlt auch das Phänomen "boysober". Was das bedeutet und wie wir die Dating-Pause für uns nutzen können.

Ich entscheide mich jetzt für mich – diesen Beschluss hat Lena in einer ihrer Ex-Beziehungen gefasst. "Irgendwann habe ich gemerkt, dass er weniger bereit ist, an sich zu arbeiten und ich mein Leben eher an seins anpassen muss", sagt sie.

Lena stellte damals fest: Sie hat die Verbindung zu sich selbst verloren – und das will sie so nicht mehr. Heute führt sie ein männerdezentriertes Leben, wie sie es nennt. Männer stehen also nicht im Mittelpunkt ihres Lebens. Sie datet nicht mehr aktiv und hatte seit Jahren nichts Festes.

"Singlesein ist für mich keine Füllzeit, die es zu überwinden gilt, sondern eine Zeit, die fast mein gesamtes Leben prägt. Das ist die Zeit, in der ich ich sein darf."
Lena, hat früher Männer gedatet, seit einiger Zeit aber nicht mehr

Lena hat in ihrer Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, weil bestimmte Männer ihre Bedürfnisse nicht ernst genommen haben. "Wenn ich nicht mehr 'funktioniert' habe, sie mental zu unterstützen, hat die ganze Beziehung nicht mehr funktioniert. Wenn ich mal emotionalen Support brauchte, weil es mir schlecht ging, dann war es auf einmal zu viel und zu anstrengend", erklärt sie. Deswegen hat sie ihre letzte Beziehung beendet. Sie hat gelernt, wer ihr guttut – und wer nicht.

Lena priorisiert sich selbst. Sie liebt ihr Leben und ist heute glücklicher als in ihren vergangenen Partnerschaften, sagt sie. Männer haben auch weiterhin einen Platz in ihrem Leben. Nicht im romantischen Sinne, aber in Freundschaften. Diese Männer beschreibt sie als Menschen, die sich selbst und das männliche Rollenbild hinterfragen, die über ihre Gefühle reden und sie so respektieren, wie sie ist.

"Männer haben in meinem Leben Platz, wenn sie mich so respektieren, wie ich bin."
Lena, hat früher Männer gedatet, seit einiger Zeit aber nicht mehr

Ein "konservatives, patriarchales, toxisches Männlichkeitsbild" lehnt sie ab. In der individuellen Begegnung "kann ich immer noch entscheiden, dass sie eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung führen und aufgeklärt sein können", erklärt Lena. Seitdem sie sich gedanklich davon distanziert hat, was Männer über sie denken könnten, fühlt sie sich frei.

Was ist boysober?

Dass Lena bewusst darauf verzichtet, Männer zu daten, damit ist sie nicht alleine. Das Phänomen dahinter wird auch "boysober" bezeichnet. Das setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen für Junge beziehungsweise Mann (Boy) und nüchtern (sober). Dabei geht es darum, sich selbst zu priorisieren und sexuelle oder emotionale Abhängigkeiten zu hinterfragen.

"Die Beziehung oder die 'Boys' werden mit einer Droge oder mit Alkohol verglichen, was irgendwie betrunken macht, also auf kurze Sicht vielleicht einen Rauschzustand verursacht, aber auf lange Sicht eher auslaugt. Boysober ist die Gegenbewegung: Man verzichtet auf Beziehung oder Sexualität – was sich kurzfristig wie ein Entzug anfühlen kann, aber vielleicht langfristig mehr Energie gibt", erklärt Psychologin Marina Thomas. Sie forscht zu den Themen Medien, Sexualität und Gender.

"Boysober sein heißt, sich nicht von schnellen Rewards einlullen lassen, ob sexuell oder emotional, sondern sich selbst zu priorisieren."
Marina Thomas, Psychologin

Dass sich Frauen der Boysober-Bewegung anschließen und unter anderem offen darüber auf Social Media reden, ist für Marina Thomas auch eine Bestätigung dafür, dass feministische Werte inzwischen mehr Raum einnehmen dürfen und Frauen nicht mehr so viele Schuldgefühle haben, wenn sie sich selbst an erste Stelle setzen – statt die Kinder, den Haushalt oder ihren (Ehe-)Mann.

Ganz weg seien die Schuldgefühle bei vielen Frauen aber nicht. Sie würden zwar weniger stark wirken. Manche Frauen würden diese Schuldgefühle aber an anderer Stelle kompensieren, zum Beispiel durch besonders viel Arbeit.

Warum boysober?

Seitdem Lena ein männerdezentrales Leben lebt, hat sie sich auch viel mit sich selbst auseinandergesetzt – mit ihren Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Erwartungen. Sie hat sich so kennengelernt, wie sie wirklich ist, sagt sie.

Lena hat innegehalten. Das kann ein Vorteil sein von der Boysober-Bewegung beziehungsweise von einer Dating-Pause, sagt Annika Gley. Sie bietet systemische Beratung, Single-Beratung und Paartherapie an. Manche Frauen seien erschöpft vom Online-Dating und den Erfahrungen, die sie beim Dating insgesamt machen.

Da kann es helfen, sich ein paar Fragen zu stellen:

  • Wo stehe ich gerade?
  • Was will ich?
  • Was ist mir wichtig?
  • Was sind meine Grenzen?
  • Wie viel Raum soll Dating in meinem Leben einnehmen?
  • Wie gehe ich mit dem Alleinsein um?
"Wichtig ist, dass man sich erst mal überlegt, warum man das überhaupt machen möchte."
Annika Gley, Paartherapeutin und systemische Beraterin, übers boysober sein

Wer einmal auf Pause drücken möchte, kann sich dafür ein Ziel setzen und einen Zeitrahmen. Ein Ziel könnte zum Beispiel sein, eine Ex-Beziehung aufzuarbeiten oder sich selbst besser kennenzulernen, indem man sich beispielweise mit den eigenen Verhaltensmustern beschäftigt, erklärt Annika Gley.

Das Zeitfenster gibt dem Ganzen einen Rahmen. Das könnten etwa 30 Tage oder zwei Monate sein, in denen man auch Dating-Apps löscht und den Blick in dieser Zeit nach innen richtet, Freundschaften pflegt oder neue Hobbys ausprobiert. Es geht also darum, den Fokus wegzubewegen vom Dating und Raum zu schaffen für einen selbst.

Dieses Zeitfenster sollte allerdings spielerisch betrachtet werden und nicht als eine Art Vorschrift, mit der wir uns selbst einengen. "Wir sollten schon auch offen sein und gucken: Vielleicht ist es dann doch nicht boysober, vielleicht ist es nur ein anderes Dating. Vielleicht möchte ich mir in Zukunft mehr Zeit nehmen oder anders filtern", sagt Annika Gley. Und hat den Tipp: "Immer gucken, wie es mir geht und ehrlich zu sich sein."