Digitales EuropaWeg von USA und China, aber wie?
Was wäre, wenn USA und China morgen die Stecker ziehen? Apps, Clouds, KI – alles weg. Genau das wollen Kanzler Merz und Frankreichs Präsident Macron ändern. Aber kann Europa überhaupt noch digital unabhängiger werden – und was müsste dafür passieren?
Mai 2025 im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag: Chefankläger Karim Khan kommt einfach nicht mehr an seine E-Mails. Der Betrieb des Gerichtshofs ist gelähmt. Doch es war kein Fehler oder Bug. Khans E-Mail-Adresse wurde gesperrt – vom US-Konzern Microsoft. Ein Weckruf, wie abhängig Europa im digitalen Raum von den USA und China ist.
Alltag zwischen Apple, Google und Microsoft
Digitale Anwendungen aus den USA und China bestimmen unseren Alltag – auch den unserer Reporterin Wiebke Dumpe. Ihr Tag beginnt mit dem iPhone-Wecker, "der Dreh- und Angelpunkt meines digitalen Alltags". Danach checkt sie Whatsapp aus dem Meta-Konzern, manchmal auch Signal. Auf dem Weg zur Arbeit nutzt sie Apple-Apps für Musik und Podcasts, im Auto die Karten-App der US-Konzerne Apple oder Google.
"Mein iPhone, Soft- und Hardware vom US-Konzern Apple, das ist der Dreh- und Angelpunkt meines digitalen Alltags."
Zum Recherchieren nutzt Wiebke vor allem die Google-Suche, speichert Daten in Google-Drive, verwendet täglich ihre Gmail-Adresse. Auf der Arbeit dominiert Microsoft: Das Betriebssystem, Word, Teams und Outlook stammten alle vom US-Konzern.
Privat nutzt unsere Rporterin viel Instagram von Meta, schaut Videos auf Youtube von Google, verwendet gelegentlich ChatGPT von OpenAI. Auch Googles KI-Zusammenfassungen begegnen ihr ständig. Für gemeinsame Geschenke nutzt sie Paypal, bestellt bei Amazon oder liest auf dem Kindle und streamt Serien auf Netflix. Einzig Vinted, eine Klamotten-Plattform aus Litauen, ist europäisch.
Wer kontrolliert Europas digitale Zukunft?
Die kleine Stichprobe aus dem Alltag von Wiebke ist eindeutig und offenbar realistisch. EU-Politiker und auch Wissenschaftler sagen, dass rund 80 Prozent der digitalen Dienstleistungen und Technologien aus China und den USA in die EU importiert wird, berichtet unsere Korrespondentin Annabell Brockhues vom Gipfel für europäische und digitale Souveränität.
Auf dem Gipfel stellt sich die zentrale Frage, was digitale Souveränität genau bedeutet. Reicht es aus, wenn US-Konzerne in Europa Rechenzentren bauen und Daten hier speichern? Einige bejahen das, andere lehnen es ab, weil US-Behörden weiterhin Zugriff hätten, so Annabell. Deshalb fordern Politiker und Unternehmen eigene europäische Kriterien für Souveränität.
"Reicht das, souverän zu sein, wenn US-Unternehmen in Europa Rechenzentren bauen und die Daten in Europa speichern? Manche sagen Ja. Manche sagen Nein."
Ein Ansatz ist, auf Open-Source-Software europäischer Firmen zu setzen. Ein weiterer: echte technologische Eigenständigkeit aufzubauen – also selbst Software entwickeln und Unternehmen gründen zu können. Das bedeutet nicht, sich vollständig von den USA oder China abzuwenden, sondern die Fähigkeit zu besitzen, zentrale Technologien eigenständig bereitzustellen.
Europa – gut aufgestellt in Robotik und Quantencomputing
Europa steht in vielen digitalen Alltagsbereichen eher schlecht da. Auf dem Digitalgipfel entstehe aber der Eindruck, so unsere Korrespondentin, dass Europa dort stark sei, wo es um Business-to-Business-Lösungen geht – also Anwendungen, von denen Unternehmen profitieren. Beispiele sind SAP oder europäische Cloud-Alternativen zu Microsoft-Diensten.
Gut aufgestellt, so war es in Berlin zu hören, sei man in Robotik, Quantencomputing und bei Maschinen für die Halbleiterproduktion. Das merken Privatanwender im Alltag zwar nicht direkt, aber hier kann Europa etwas, sagt Annabell.
"Die EU hat fortschrittliche Projekte in der Pipeline, die digital ganz schön outstanding sind und die wir definitiv auch im Alltag merken werden."
Es gibt durchaus Bereiche, in denen Digitales für uns kein Neuland ist. Auch die EU arbeitet an Projekten, die digital weit vorn sind und die wir im Alltag spüren werden – etwa das EUDI-Wallet. Diese App soll Personalausweis, Führerschein und andere Dokumente enthalten. Man soll sich damit online ausweisen können auf Social-Media-Plattformen, und Tickets für Konzerte oder Flüge speichern. Das Wallet soll 2027 in Deutschland starten.
Schon jetzt gibt es weitere digitale Alternativen aus Europa: LibreOffice als Option zu Microsoft Office – entwickelt von einer Stiftung in Berlin. Bei Mailanbietern gibt es Angebote wie Posteo, Protonmail aus der Schweiz sowie GMX und Web.de, die zu 1 & 1 mit Sitz in Montabaur gehören. Für Streaming eignen sich ARD-, ZDF- oder Arte-Mediatheken. Die Navi-App "HERE WeGo" gehört mehreren deutschen Autoherstellern.
Weg aus der Abhängigkeit – Alternativen nutzen
Die Schweizer App Threema ist eine europäische Alternative zu Whatsapp und kostet einmalig rund vier Euro. Der französischen Messenger Olvid ist kostenlos. Allerdings nutzen beide nur wenige Menschen. Das gilt auch für Wero als mögliche Paypal-Alternative und macht den Umstieg im Alltag oft noch unbequem.
Dennoch müssen wir Alternativen stärker nutzen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen, sagte Medienforscher Martin Andree dem Bayerischen Rundfunk. Er nennt Beispiele wie die Suchmaschinen Ecosia und DuckDuckGo oder das soziale Netzwerk Mastodon.
Doch die Hürden seien hoch, weil Tech-Konzerne starke Barrieren um ihre Plattformen bauen. Und selbst Dienste wie Ecosia, eine Suchmaschine aus Deutschland, die damit wirbt, Bäume zu pflanzen, greift letztlich auf die Suchindizes von Google oder Bing zurück.
Medienforscher: Souveränitat längst verloren
Wo Europa draufsteht, steckt also nicht immer Europa drin. Beim Thema Server und Cloud-Dienste zeigt sich das deutlich: Ein Großteil der europäischen Daten liegt in US-Clouds wie Amazon AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud. Auch Smartphone-Betriebssysteme wie Android und iOS sowie viele Apps sind fest in der Hand amerikanischer Konzerne.
"De facto ist die digitale Wirklichkeit vollständig von US-Monopolisten beherrscht und kontrolliert. Die bestimmen einseitig über die Inhalte in den Plattformen."
Darum zieht der Medienforscher einen deutlichen Schluss: Die digitale Realität werde faktisch von US-Monopolisten kontrolliert. Sie bestimmten Inhalte über ihre Algorithmen und Nutzungsbedingungen – einseitig und global. Aus seiner Sicht habe Europa seine digitale Souveränität längst verloren.
Zusammenschluss europäischer Firmen
Wie kommt Europa aus dieser digitalen Abhängigkeit heraus? Unsere Korrespondentin sagt, zunächst müsse man das Mindset ändern: Europa stehe nicht so blank da, wie es oft wirke. Es gebe längst Alternativen und Entwicklungen aus der EU – wir müssten nicht alles von US-Konzernen nutzen. Außerdem sei wichtig, europäische Anbieter gezielt zu fördern und öffentliche Aufträge verstärkt an sie zu vergeben.
"Europa steht nicht so blank da, wie man das manchmal wahrnimmt."
Unternehmen und Behörden sollten prüfen, welche europäischen Optionen verfügbar und sicher sind – und das sei meist der Fall. Zwar wirke das Angebot nicht immer so komfortabel wie bei Microsoft, doch viele europäische Firmen schließen sich inzwischen zusammen, um komplette Lösungen anzubieten: Mail, Kalender, Videocalls und Server-Infrastruktur aus EU-Hand. Netflix oder WhatsApp werde Europa wohl nicht ersetzen, aber im Berufsalltag könne sich bereits einiges ändern.
USA und China geben Marktmacht nicht einfach ab
Es gibt also Hoffnung, aber ein eintägiger Gipfel kann die Digitalisierung in Europa nicht grundlegend ändern, und USA sowie China geben ihre Marktmacht nicht einfach ab. Wichtig ist, dass Politik und Einzelne sich der Risiken bewusst werden. Annabell nennt zwei zentrale Risiken: wirtschaftliche Abhängigkeit von Hardware und Software aus China und den USA sowie politische Abhängigkeit.
Die politische Abhängigkeit zeigt sich, wenn ausländische Regierungen Einfluss auf Unternehmen nehmen und den Zugang zu Diensten blockieren, wie beim Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Daher ist es wichtig, europäische Alternativen zu entwickeln und zu nutzen, um bei Ausfällen oder Risiken unabhängig reagieren zu können und die digitale Souveränität zu stärken.