Fußballfans vs. StaatDer Kampf um die Kurve
Personalisierte Tickets, Gesichtserkennung, schnellere Stadionverbote: Die Innenminister wollen die Stadien sicherer machen und dafür schärfere Regeln beschließen. Fans geht das zu weit: In fast allen Stadien protestieren sie dagegen – mit zwölf Minuten Stille.
Kein Singen, kein Klatschen, kein Pfeifen. Zwölf Minuten lang zu Beginn vieler Fußballspiele der ersten drei Ligen hört man in den Stadien zurzeit nur das, was sonst untergeht: die Zurufe der Spieler, das Aufprallen des Balls, einzelne Rufe von der Tribüne. Diese ungewohnte Stille ist gewollt. Die Fans protestieren auf diese Weise gegen mutmaßliche neue Sicherheitsregeln der Innenminister*innen. Und sie gehen auf die Straße.
Mitte November ziehen in Leipzig 38 Fangruppen gemeinsam durch die Innenstadt. Seite an Seite laufen sogar Erzfeinde nebeneinander, vereint gegen die vermeintlichen Pläne der Innenministerkonferenz: Geplant – so die Vermutung beziehungsweise Befürchtung der Kritiker – seien mehr Überwachung, härtere Stadionverbote und personalisierte Tickets.
Fakt ist: Was genau beschlossen werden soll, ist unklar. Entschieden werden könnte es während der Innenministerkonferenz am Mittwoch (03.12.2025).
Wachsende Skepsis der Politik gegen Vereine und Fans
Einer der prominentesten Kritiker ist Thomas Kessen vom Fanverband "Unsere Kurve". Er koordiniert die Proteste und steht selbst regelmäßig im Stadion, um seinen Lieblingsverein, den VfL Osnabrück, zu supporten. Weil er medial zu einer Art Gesicht der Proteste geworden ist, wird er oft von Fans angesprochen. "Ich habe kein einziges negatives Feedback für die Protestaktion bekommen, im Gegenteil."
"Da ist ein volles Stadion, aber du hörst nur, was sich die Spieler zurufen. So sollte Fußball nicht sein."
Was die Innenminister*innen tatsächlich planen, ist bisher nicht offiziell veröffentlicht. Maxi Rieger aus der Deutschlandfunk-Sportredaktion spricht in diesem Zusammenhang von einem intransparenten Prozess.
Was die Innenminister*innen vorhaben
Seit etwa einem Jahr beraten Innenpolitikerinnen und -politiker gemeinsam mit der Deutschen Fußball Liga (DFL), dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und Sportverbänden über neue Sicherheitskonzepte. Teile davon wurden durch Recherchen des Spiegel und der Sportschau bekannt.
Dabei geht es vor allem um:
- Personalisierte Tickets: Wer darf wann ins Stadion?
- Pyrotechnik: Wie verhindern Vereine, dass Feuerwerkskörper überhaupt hineingelangen?
- Stadionverbote: Wann und wie schnell wird ein Verbot ausgesprochen?
Politiker wünschen sich laut Maxi Rieger schnellere und konsequentere Stadionverbote. Wie genau die umgesetzt werden sollen, ist aber bislang offen.
Ziel: Weniger Gewalt im Stadion
Dabei zeigen die offiziellen Zahlen ein anderes Bild. Laut der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze der Polizei ist die Zahl der Verletzten in den ersten drei Ligen in der Saison 2024/25 zumindest im Vergleich zum Vorjahr gesunken – auf knapp über 1.000. Auch die Zahl der Strafverfahren ging zurück, insgesamt auf etwa 7.500 im gesamten deutschen Fußball.
"Wenn man die Zahl der Verletzten ins Verhältnis setzt zu rund 25 Millionen Stadionbesuchen pro Saison, ist das ein sehr kleiner Prozentsatz."
Trotzdem argumentieren viele Innenpolitiker*innen mit zu hohen Sicherheitskosten. Sachsens Innenminister Armin Schuster kritisiert, dass kein anderer Sport einen so hohen Polizeieinsatz braucht wie Fußball.
Journalist: Maßnahmen der Politik gehen am Problem vorbei
Für Thomas Kessen sind die Argumente aus der Politik kaum nachvollziehbar. "Kaum eine andere Großveranstaltung in Deutschland ist so sicher wie das Fußballspiel im Stadion“, sagt er. Volksfeste oder Kirmes seien oft deutlich unsicherer, trotzdem werde ausgerechnet der Fußball besonders scharf ins Visier genommen.
Doch ganz so einfach ist es womöglich nicht.
Gewalt im Fußball ist durchaus ein Problem, sagt Maxi Rieger – allerdings nicht in den Stadien. "Viele gewalttätige Auseinandersetzungen finden an Bahnhöfen oder auf Anreisewegen statt." Genau diese Problematik nähmen die diskutierten Maßnahmen der Innenminister*innen allerdings nicht in den Blick. Genauso wenig wie die, dass von Sozialarbeiter*innen geleitete Fanprojekte seit Jahren finanziell unter Druck stehen, ergänzt der Jornalist. Dabei seien genau das die hilfreichen Angebote, um Gewalt im Fußball und unter Fans präventiv anzugehen.
"Wenn Politiker*innen weniger Gewaltvorfälle im Fußball sehen möchten, müssten sie auf Prävention setzen."
Und wie geht es nun weiter? Das werden wir erst nach der Innenministerkonferenz (03.12.2025) wissen, sagt Maxi Rieger. Vorab sei nur bekannt, dass zwei Beschlussvorlagen diskutiert werden: eine scharf formulierte aus Niedersachsen und eine deutlich mildere aus Hamburg. "Was ich aus Medienberichten – vor allem vom Spiegel – weiß, ist, dass tendenziell eher der freundlichere Text mehrheitsfähig sein soll", sagt der Sportjournalist.
Laut Maxi Rieger ist es schon wahrscheinlich, dass der Protest der Fans Wirkung gezeigt hat. Verbände und Vereine seien sensibilisiert und auch die Politik habe gemerkt, wie groß der Widerstand ist. Thomas Kessen hingegen wartet lieber ab. "Es ist wie beim Fußball: Wir sind vielleicht gerade in der Halbzeitpause. Ob wir das Spiel wirklich gewinnen, wissen wir da noch nicht."