"Influencer Gottes"Warum wird der Teenager Carlo Acutis heiliggesprochen?

Der Italiener Carlo Acutis starb 2006 mit 15 an Leukämie. Jetzt wird der "Cyber-Apostel" als erster Millennial von Papst Leo XIV. heiliggesprochen. Der Hype um den toten Teenager ist riesig. Es gibt aber auch Kritik an seinem Fall.

Jeans, Turnschuhe, Sportpulli – ein ganz normaler 15-Jähriger. Allerdings: Er liegt aufgebahrt in einem gläsernen Sarg. Und in einem Livestream kann man verfolgen, wie Gläubige zu ihm hinpilgern.

Gläubige besuchen das Grab von Carlo Acutis in Assisi.
"Er hat in der Welt gelebt, ohne von der Welt zu sein, und das hat er uns ganz gut vorgelebt."
Gläubige über Carlo Acutis

Der italienische Teeanger Carlo Acutis soll ein Heiliger gewesen sein, davon sind viele Gläubige tief überzeugt. Und offensichtlich auch die katholische Kirche: Am 7. September 2025 wird er heiliggesprochen. Als erster Millenial. Welche Story steckt dahinter?

Carlo Acutis wurde 1991 in eine wohlhabende italienische Familie geboren und starb im Alter von nur 15 Jahren 2006 an einer heftigen Leukämie-Form. Und dann begann ein riesiger Hype um ihn, Merch inklusive.

"Er soll oft in die Kirche gegangen sein, und er soll zum Beispiel auch seine Freunde gewarnt haben vor Pornografie, Selbstbefriedigung und so weiter. Er soll Dinge gesagt haben wie: Die einzige Frau in meinem Leben ist die Jungfrau Maria."
Matthis Dierkes, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Carlo Acutis soll sehr fromm gewesen sein. Gläubige erzählen sich, er habe armen Menschen geholfen. Zum Beispiel soll er wohnungslosen Menschen etwas zu Essen gebracht haben oder sein Taschengeld ausgegeben haben, um dafür Schlafsäcke zu kaufen.

Der Influencer Gottes

Bekannt geworden ist er vor allem für seine Aktivitäten im Netz. Er soll dort etwa Wunder oder Erscheinungen aus der Geschichte der Kirche zusammengestellt haben. Das hat ihm später die Namen "Influencer Gottes" oder auch "Cyber Apostel" beschert.

Carlo Acutis zu Lebzeiten

Die zwei Wunder des Carlo Acutis

Nach seinem Tod entstand ein riesiger Hype um ihn, befördert auch von seiner eigenen Mutter. Aber heilig? Dafür braucht es noch mehr. Und zwar mindestens zwei Wunder, also unerklärliche Ereignisse. Und die hat die katholische Kirche in einem langjährigen, fest vorgeschriebenen Verfahren dann auch bei Carlo Acutis anerkannt.

Ein Jugendlicher mit einer schweren Erkrankung der Bauchspeicheldrüse soll nach einer Andacht, die sich um Carlo Acutis Geschichte drehte, wieder gesund geworden sein. Und eine junge Frau, die bei einen Unfall lebensgefährlich verletzt wurde, soll geheilt worden sein, nachdem ihre Mutter am Grab von Carlo Acutis um seine Hilfe gebeten hat.

Kritik an Carlo-Acutis-Hype

Während die einen den verstorbenen Teenager feiern und verehren, kritisieren andere den großen Hype um ihn und seine sehr schnelle Heiligsprechung: "Es scheint alles in der Tat aus der Zeit gefallen zu sein", sagt etwa der Theologe Oliver Vincek, der das Aufheben um Carlo Acutis für überholt hält.

"Ich habe große Fragezeichen bei diesem Hype um Carlo Acutis, wo es um Frömmigkeitsformen geht, die doch wirklich ihr Verfallsdatum teilweise überschritten haben dürften."
Oliver Vincek, Professor für katholische Theologie

Manche stellen auch infrage ob Carlo Acutis wirklich so fromm war, wie das seine Fans behaupten, berichtet außerdem Deutschlandfunk-Nova-Reporter Matthis Dierkes. Ein früherer Schulfreund von ihm etwa hat in einem Interview Zweifel an seiner Frommheit geäußert, erzählt er.

"Fakt und Legende verschwimmen bei ihm mittlerweile oft ein Stück weit tatsächlich. Vieles, was Carlo getan oder gesagt haben soll, ist nicht hundertprozentig gesichert."
Matthis Dierkes, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Fakt und Legende lassen sich in dem Fall dieses Teenagers schlecht trennen, sagt Matthis. Vieles über Carlo Acutis wurde erst nach seinem Tod von seiner Mutter erzählt und weiterverbreitet. Und einige kritisieren auch den sehr kurzen Zeitraum bis zur Heiligsprechung nach seinem Tod.

Heiliger als Identifikationsfigur

In Zeiten sinkender Mitgliedszahlen, gerade unter jungen Menschen, hat das für die Kirche natürlich einen guten Effekt, sagt unsere ARD-Korrespondentin in Rom, Lisa Weiß. Ein 15-Jähriger, der aus unserer Zeit stammt und nicht vor 1.000 Jahren gelebt hat, und zudem auf Social Media aktiv war, kann gut als Identifikationsfigur funktionieren, glaubt sie.

"Ein Heiliger in Jeans und Turnschuhen, der einen eigenen Facebook-Account hatte - für Insta und TikTok war es noch zu früh -, das ist schon etwas, um junge Menschen dazugewinnen zu können."
Lisa Weiß, ARD-Korrespondentin in Rom

Ob die Legenden nun alle stimmen oder nicht, ob die Heiligsprechung zu schnell lief oder nicht und ob man Heiligenverehrung aus der Zeit gefallen findet oder nicht – Carlo Acutis scheint vielen Menschen etwas zu bedeuten und zu geben.

"Das ist einfach Glaube."
Lisa Weiß, ARD-Korrespondentin in Rom

Lisa Weiß sagt es so: "Da muss wirklich jeder selbst für sich entscheiden, wie er seinen Glauben, wenn er oder sie einen hat, interpretiert. Das ist für jemand, der diesen Teil des Glaubens nicht nachvollziehen kann, vielleicht ein bisschen schräg, aber für die Menschen selbst sehr wichtig."

Lisa Weiß hat noch mehr berichtet: von Carlo Acutis Herzreliquie auf Reisen, die Gläubige in München in Ohnmacht fallen ließ etwa, von der Explosion der Heiligsprechungen seit dem letzten Jahrhundert oder auch der Rolle von Heiligsprechungen heute. Für das ganze Gespräch drückt den Play-Button oben.