OversharingWarum erzählen wir mehr als wir wollen?
Bei Jasmin ist Oversharing ein Thema. Sie hat teilweise persönliche Details mit Menschen geteilt, obwohl sie diese nicht so gut kannte. Mittlerweile kann sie Grenzen setzen. Zwei Expertinnen erklären, was beim Oversharing wirkt.
Wie es ist, in manchen Situationen vielleicht zu viel zu erzählen, das kennt Jasmin. Vor drei Jahren gab es eine große Veränderung in ihrem Leben: Sie ist zum Islam konvertiert. In der Zeit hat das Oversharen bei ihr zugenommen.
"Jedes Mal, wenn ich jemanden getroffen habe, der mich gefragt hat, warum ich zum Islam konvertiert bin, habe ich angefangen zu oversharen."
Sie wollte in der neuen Gemeinschaft dazugehören und dachte, sie müsse sich erklären. Also hat Jasmin von sich erzählt. "Jedes Mal, wenn ich jemanden getroffen habe, der mich gefragt hat, warum ich zum Islam konvertiert bin, habe ich angefangen zu oversharen. Die ganze Geschichte ist natürlich nicht einfach auf eine Situation zurückzubeziehen, sondern da hängt sehr viel mit drin, auch sehr viel Persönliches, Privates, was ich so eigentlich gar nicht erzählen würde", sagt sie.
Jasmin hat sich in einer Bringschuld gesehen
Das sei besonders am Anfang nach dem Konvertieren vorgekommen. Jasmin wollte sich offen zeigen, über ihre Entscheidung zu sprechen. Sie hat sich in gewisser Weise in einer Bringschuld gesehen. "Wenn ich in neuen Communities war, habe ich gedacht, so viel wie möglich von mir preiszugeben, damit die Leute nicht denken, ich bin irgendwie komisch und möchte mysteriös sein", erzählt sie.
Oversharing war bei ihr auch früher schon ein Thema. In der Schulzeit hatte sie manchmal auch das Bedürfnis, ein persönliches Erlebnis mit anderen teilen zu müssen, auch wenn sie nicht eng mit der Person befreundet war, erinnert sich Jasmin. Das Oversharing war für sie damals ein Ventil, um Erlebtes rauszulassen, sagt sie.
Was genau bedeutet Oversharing?
Oversharing kann sich auf zwei Arten zeigen, erklärt Susanne Watzke-Otte, Trainerin und Coach im Bereich Arbeit und Kommunikation:
- einen hohen Redeanteil haben, wodurch Gesprächspartner*innen kaum zu Wort kommen
- viele persönliche Details teilen – im Gespräch mit Freund*innen, Bekannten oder auf Social Media
Beides kann auch gleichzeitig passieren – also viel Raum einnehmen in einem Gespräch und dabei viele intime Erlebnisse erzählen.
"Social Media ist noch extremer, weil ich hunderte von Likes für einen Oversharing-Post bekomme. Dann will ich das wieder haben und muss noch einen drauflegen."
Social Media nimmt beim Thema Oversharing nochmal eine besondere Rolle ein. Denn dort werden wir für die Geschichten, die wir teilen, durch Likes quasi belohnt. Jedes Like schüttet bei uns Dopamin aus und füttert so das Verlangen, den nächsten Post abzusetzen, sagt Susanne Watzke-Otte. Es gäbe so etwas wie einen Wiederholungszwang.
Psychologie und Oversharing
Im persönlichen Gespräch kann es unterschiedliche Gründe dafür geben, warum jemand besonders viel erzählt. Es kann zum Beispiel aus einem Bedürfnis nach Nähe oder Verbindung heraus entstehen. Verhaltenstherapeutin Rosalie Weigand hält das für den häufigsten Grund. Im Sinne von: Jemand teilt eine persönliche Geschichte und eröffnet so den Raum, dass sein Gegenüber auch etwas Privates erzählt. Wenn der Kontext dazu aber nicht passt, kann es eben schnell zum einseitigen Oversharing kommen, so Weigand.
Ein weiterer Grund kann sein, dass es manchen Personen schwerfällt, Stille auszuhalten – und sie deshalb Gesprächspausen durch eigenes Erzählen füllen, erklärt die Verhaltenstherapeutin. Andere wiederum nutzten Oversharing, weil sie sich schämen und durch das Teilen einer Geschichte die Kontrolle darüber haben wollen, was sie von sich preisgeben.
"Ich würde denken, der häufigste Grund ist, dass man ein Bedürfnis nach Nähe oder Verbindung zu der Person hat."
Wer hier etwas verändern möchte, dem empfiehlt Rosalie Weigand, erst einmal in sich reinzuhören. "Wie fühlst du dich nach dem Teilen? Fühlt sich das gut an oder hast du das Gefühl: Das war eigentlich zu viel?"
Oversharing vermeiden
Das Oversharing nehme automatisch ab, wenn es Räume beziehungsweise Personen gibt, denen man sich anvertrauen könne. Eine andere Möglichkeit ist es, sich anzutrainieren, in einem Gespräch mehr Fragen zu stellen. "Dann kann die andere Person auch entscheiden, wie tief sie geht und man kann sich ein bisschen anpassen, wenn man Schwierigkeiten hat einzuschätzen, was angemessen wäre", erklärt Rosalie Weigand.
Wo Oversharing beginnt und endet, ist zudem ziemlich individuell. Das bedeutet, dass beide Gesprächspartner*innen die Situation anders wahrnehmen können. "Also, dass du zum Beispiel das Gefühl hast, ich habe jetzt total overshared und das Gegenüber nimmt das aber gar nicht so wahr oder eben umgekehrt", so die Verhaltenstherapeutin.
Eigene Ventile schaffen
Oversharing-Situationen oder die Annahme, man habe "zu viel" geteilt, sind also nicht so selten. Wer aber das Gefühl hat, es handelt sich um eine Art Dauerzustand oder es gibt einen gewissen Leidensdruck, die oder der kann genauer erforschen, was hinter dem eigenen Oversharing steckt.
Jasmin hat sich nach manchen Oversharing-Momenten schlecht gefühlt und ihr Verhalten verändert. Sie hat zum Beispiel das Schreiben für sich entdeckt. Dann teilt sie ihre Erlebnisse in einem Journal oder Tagebuch. "Ich habe mir die Ventile geschaffen, die mir vorher gefehlt haben," sagt sie.
In der Podcast-Folge geht Verhaltenstherapeutin Rosalie Weigand noch weiter darauf ein, wie man das Oversharing eingrenzen kann. Sie erklärt auch, wer am ehesten zum Oversharen neigt. Klickt dafür oben auf den Play-Button.