Prozess in MagdeburgOpfer des Weihnachtsmarkt-Anschlags hoffen auf Antworten
In Magdeburg hat der Prozess gegen den Weihnachtsmarkt-Attentäter begonnen. Hunderte Betroffene und Angehörige leiden bis heute unter den Folgen des Anschlags vom 20. Dezember 2024. Tötete Taleb A. aus Frust? Ersthelfer Phillip hofft auf Antworten.
Kurz vor Heiligabend 2024 raste der mutmaßliche Attentäter Taleb A. mit einem angemieteten SUV mitten in die Menschenmenge des Magdeburger Weihnachtsmarkts. Sechs Menschen wurden getötet, über 300 zum Teil schwer verletzt. Fast elf Monate später beginnt nun der Prozess gegen den aus Saudi-Arabien stammenden Mann. Seine Tat soll er präzise vorbereitet haben.
"Ich weiß noch, dass ich den Weihnachtsmarkt Budenbesitzern zugeschrien habe, sie sollen einfach ihre Verbandskästen rauswerfen, damit wir Material haben, mit dem wir arbeiten können."
Phillip Peplau macht eine Ausbildung zum Rettungssanitäter, auch er ist an diesem Abend privat auf dem Weihnachtsmarkt mit Kollegen. Er sieht, wie der SUV durch die Menschen fährt, wie sie durch die Luft geschleudert werden und wird zum Ersthelfer.
Obwohl er selbst nicht genau verstehen kann, was passiert ist, hat er gespürt: "Das war ein Anschlag". Über den Notruf kommt er nicht mehr durch. Einen Moment lang nimmt er eine Totenstille wahr, dann Geschrei.
Helfen, wo man kann
Phillip versucht mit seinen Kollegen vor Ort zu helfen, wo er kann. Manche Menschen haben Schnittwunden, erzählt er, andere schwere Verletzungen. In einer Therapie will er lernen, das Erlebte zu verarbeiten.
"Wir sind jetzt gerade bei der Aufarbeitung von dem, was da passiert ist, nach elf Monaten. Es ist sehr schwierig, das Verarbeitung zu nennen. Also ich glaube, es ist einfach mein Versuch, damit zu leben."
Viele Betroffene haben bis heute mit Traumata zu kämpfen, berichtet Phillip, aber auch mit bürokratischen Hürden oder der Tatsache, dass es wenige Therapieplätze vor Ort gibt.
Menschenmassen meidet Phillip bis heute. Und er wohnt nicht mehr in Magdeburg: Er macht seine Ausbildung zum Notfallsanitäter jetzt in Hessen zu Ende, wo er auch lebt. Den Prozess-Beginn zu dem Anschlag verfolgt er aus der Ferne. Und er merkt: Auch das belastet ihn.
Einer der größten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte
Für den Gerichtsprozess in Magdeburg wurde eigens ein provisorisches Gebäude errichtet, weil es so viele Beteiligte gibt: 410 Zeugen, fünf Sachverständige, 180 Nebenkläger und ein großes Presseaufgebot.
Angeklagt ist Taleb A. wegen sechsfachen Mordes und versuchten Mordes in mehr als 300 Fällen. Er sitzt in einer Art Glascontainer, zu seiner eigenen Sicherheit. Insgesamt 700 Menschen können im Saal den Prozess verfolgen.
"Also wenn man als Nebenkläger die Mimik des Angeklagten deuten will, dann braucht man eigentlich ein Fernglas. Anders geht das nicht."
Die Stimmung im Saal war beim ersten Prozesstag sehr bedrückend, sagt Korrespondent Niklas Ottersbach. "Das hat mich persönlich auch sehr mitgenommen." Die Anklage und die einzelnen Fälle wurden vorgetragen. Insgesamt wurde deutlich, wie viele Familien mit Kindern an diesem 20. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt waren.
Von Knochenbrüchen, Kreuzbandrissen, Leberrissen oder Hirnblutungen wurde berichtet – "grausame Verletzungen", sagt Niklas. Taleb A. soll in Schlangenlinien über den Weihnachtsmarkt gefahren sein, um möglichst viele Menschen zu verletzen.
Politische Tat oder persönliches Motiv?
Offen ist nach wie vor das Motiv des mutmaßlichen Täters. Die Bundesanwaltschaft geht von persönlicher Frustration aus, von einem Einzeltäter ohne politische Motivation. Es gibt aber durchaus Fachleute, die das anders sehen, sagt unser Korrespondent: Beispielsweise, weil der Angeklagte im Netz teils rechtsextreme oder verschwörerische Ansichten vertreten hat und von einer heimlichen Islamisierung Deutschlands spricht.
"Es ist gerade eine schwere Phase für viele Betroffene und insgesamt für die Stadt."
Dass der Weihnachtsmarkt 2024 unzureichend gesichtert war, das ist inzwischen unstrittig, sagt Niklas. Doch niemand hat bisher Verantwortung dafür übernommen, weder die Stadt, noch die Polizei oder der Veranstalter. Auch beim Land hat es Versäumnisse gegeben. Dieses "Verantwortungs-Pingpong" zwischen den Behörden frustriere und verletze viele Betroffene zusätzlich.
Lebenslange Haftstrafe wahrscheinlich
Auch Philipp sagt: "Ich persönlich habe so viele offene Fragen." Warum das alles genau so passiert ist, diese Frage lässt ihn nicht los.
Für den Prozess sind 50 Verhandlungstage eingeplant. Frühestens Ende März 2026 wird mit einem Urteil gerechnet. Prozessbeobachter gehen aber davon aus, dass der Angeklagte eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung erhalten wird.