SicherheitspolitikDeutschland und Europa im Weltordnungskonflikt

Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Abkehr der Vereinigten Staaten vom Verteidigungsbündnis Nato muss Deutschland seine Rolle neu definieren. Eine Analyse und ein Ausblick des Verteidigungsexperten Carlo Masala.

Der Wandel sicher geglaubter Wahrheiten verläuft rasant. Carlo Masala sieht "das gesamte Koordinatensystem der deutschen Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik" gezwungen, auf den fundamentalen Wandel zu reagieren.

Zum einen definieren die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Rolle in der Welt neu. Sie sehen sich nicht mehr als Garant für Sicherheit für die Nato-Mitgliedstaaten. Als isolationistisch will Masala den Kurs der USA unter US-Präsident Donald Trump dennoch nicht verstanden wissen.

Neuausrichtung der USA verändere Weltwirtschaft und Finanzsystem

"Diese Neudefinition ist darauf ausgerichtet, dass die USA gern stärkste Macht bleiben wollen, dass sie aber die Instrumente und Strategien dafür völlig anders definieren als alle anderen Administrationen vor ihnen", sagt Carlo Masala.

"Wer amerikanischen Schutz will, muss dafür bezahlen."
Carlo Masala, Universität der Bundeswehr München

Diese Neuausrichtung der USA verändere die Weltwirtschaft ebenso wie das internationale Finanzsystem. Zum anderen setze Russland klar auf Konfrontation. Die russische Forderung sei laut Masala unmissverständlich: Russland fordere die Rückabwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur auf den Stand von 1997.

Bundesregierung habe Fehler der Vergangenheit erkannt

Das würde einen US-amerikanischen Truppenabzug aus Polen, dem Baltikum, Rumänien und eventuell dem Kosovo beinhalten. Russland wolle diesen Raum politisch wie ökonomisch dominieren, aber nicht notwendigerweise militärisch.

"Der Krieg gegen die Ukraine ist aus russischer Perspektive ein Weltordnungskonflikt."
Carlo Masala, Universität der Bundeswehr München

Nicht nur transatlantisch wackele das Koordinatensystem, auch auf EU-Ebene sieht Masala Fliehkräfte am Werk. Der europäische Binnenmarkt sei sowas wie der kleinste gemeinsame Nenner der EU-Mitgliedsstaaten. Auf viele weitere Themen könnten sie sich nicht verständigen.

"Wir haben die Bundeswehr sehr gründlich gegen die Wand gefahren und unterfinanziert. Wir versuchen gerade, das Steuer wieder herumzureißen."
Carlo Masala, Universität der Bundeswehr München

Die Fehler der Vergangenheit seien inzwischen von der Bundesregierung erkannt worden. Aber eine Neujustierung brauche Zeit. Währenddessen sei keine Stabilität in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik absehbar.

Gleichzeitig beobachtet er mit der militärischen Aufrüstung der Bundeswehr eine neue Rolle für das gesamte Land und stellt die Frage, ob es den Akteuren bewusst sei, was es bedeute, wenn die deutsche Bundeswehr die stärkste konventionelle Armee in Europa wird. Damit gehe eine neue Verantwortung in Europa einher.

Widerstandskraft der Bevölkerung sei unentbehrlich

Allerdings sieht Carlo Masala in diesem Weltordnungskonflikt nicht nur die deutsche Bundesregierung in der Pflicht. Seiner Ansicht nach sei insbesondere auch die Widerstandskraft der Bevölkerung gegenüber den Bedrohungen unentbehrlich. Die Bundeswehr könne nur funktionieren, wenn sie dauerhaft von der deutschen Bevölkerung unterstützt werde.

Carlo Masala ist Professor für für Sicherheits- und Verteidigungspolitik an der Universität der Bundeswehr München und Direktor des Metis Instituts für Strategie und Vorausschau. Seinen Vortrag hat er am 23. September 2025 in Potsdam gehalten, auf Einladung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Der Titel: "Zwischen Putin und Trump. Wie weiter mit der deutschen und europäischen Sicherheitspolitik?"