StadtbildKeiner ohne Wohnung bis 2030?
Über eine Million Menschen in Deutschland haben keine Wohnung – das zeigen aktuelle Zahlen. Dabei will die Bundesregierung Wohnungslosigkeit bis 2030 beenden. Was müsste passieren, damit das Ziel noch erreicht werden kann?
Dominik war elf Jahre lang wohnungslos, die meiste Zeit davon sogar obdachlos. Im Alter von 16 Jahren setzte seine Mutter ihn von jetzt auf gleich in einer Februarnacht vor die Tür, erzählt er: "Und dann habe ich in dieser Nacht meine ersten Schritte auf die Straße gemacht".
"Meine Mutter hat mir eine Stunde Zeit zu geben, die Wohnung zu verlassen. Und dann habe ich in dieser Nacht meine ersten Schritte auf die Straße gemacht."
Über seine Situation habe er in der Schule und beim Jugendamt offen gesprochen. Doch beide Stellen hätten sich für nicht zuständig erklärt. So habe er anfangs im Stadtpark oder in Bushäuschen übernachtet, oder gelegentlich Schlafplätze bei Klassenkameraden genutzt. Vor allem den Behörden und Ämtern macht er Vorwürfe: "Die haben wirklich versagt und einen Jugendlichen einfach auf der Straße gelassen", sagt er.
Über eine Million Wohnungslose in Deutschland
Wohnungslos und obdachlos sind nicht dasselbe: Wohnungslos ist, wer keine eigene Wohnung oder kein WG-Zimmer hat. 2024 waren das laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) rund 1,03 Millionen Menschen. Obdachlos ist, wer gar kein Dach über dem Kopf hat und auf der Straße lebt. Das betrifft etwa 56.000 Menschen bundesweit.
"Wohnungslose sind beispielsweise Menschen, die keine Wohnung haben. Obdachlose haben gar kein Dach über dem Kopf."
Die Wohnungslosigkeit steigt seit Jahren: Von 2023 auf 2024 nahm sie um 11 Prozent zu, im Jahr davor sogar um 53 Prozent – auch weil Geflüchtete mitgezählt wurden. In jedem Fall zeigt der Trend klar nach oben. Das bestätigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts, die zwar etwas niedriger liegen, aber ebenfalls einen Anstieg verzeichnen.
Geldmangel trifft auf Wohnungsnot
Laut BAG sind etwa drei Viertel der Wohnungslosen Erwachsene, die meisten davon Männer. Das übrige Viertel besteht aus Kindern und Jugendlichen, in der Regel gemeinsam mit ihren Eltern. Viele leben in Not- oder Sammelunterkünften und Übergangsheimen – insgesamt über 800.000 Menschen.
"Das zeigt, wie hart der Wohnungsmarkt für alle ist. Gerade wenn du wenig Geld hast, keinen festen Job, die Sprache nicht perfekt kannst."
Rund 80 Prozent der Wohnungslosen haben keinen deutschen Pass. Das zeigt vor allem, wie hart der Wohnungsmarkt für Menschen mit wenig Geld, ohne festen Job oder mit Sprachhürden ist, so unsere Reporterin Wiebke Dumpe. Gleichzeitig gibt es auch Hunderttausende wohnungslose Deutsche.
"Viele verlieren ihre Wohnungen, weil sie die Mieten, auch Heizung oder Strom nicht mehr zahlen können."
Der Hauptgrund für Wohnungslosigkeit ist fehlendes Geld für Miete, Strom und Heizung. Wohnungen sind teuer, da günstiger Wohnraum fehlt. Auch Trennungen spielen eine große Rolle. Für Menschen ohne deutschen Pass ist die Lage besonders schwierig eine eigene Wohnung anzumieten.
"Manchmal reichen Worte von zwei, drei netten Menschen."
Dominik erzählt, die größte Sorge vieler Betroffener sei eindeutig der Verlust der Wohnung. Sie gelte als Basis einer Existenz. Fehle dieses Fundament, falle es schwer, Hoffnung zu behalten. Er selbst habe damals auf Menschenrechte und Würde verzichtet und sich wertlos gefühlt – wie jemand ohne Platz in der Gesellschaft.
"Den Mut zu haben, aufeinander zuzugehen, miteinander zu reden, um jemandem das Gefühl zu geben, dazuzugehören. Es reichen manchmal schon Worte von zwei, drei netten Menschen."
Er betont, wie wichtig Signale von Politik und Umfeld seien. Als soziale Wesen bräuchten Menschen das Gefühl, irgendwo dazuzugehören – und Mut, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Manchmal würden schon Worte von zwei, drei netten Menschen reichen, um jemandem wieder eine Perspektive zu geben.
Von der Politik müsse anerkannt werden, dass Deutschland in einer echten Wohnkrise steckt. Obwohl oft behauptet werde, niemand müsse obdachlos sein, entspreche das nicht der Realität. Dominik wünscht sich eine echte Wohnwende und eine klare Strategie, die das Problem ernst nimmt, statt es wegzureden.
Große Ambitionen – Keine Wohnungslosigkeit ab 2030
Die Regierung hat den ambitionierten Plan, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden, doch davon ist man weit entfernt. Momentan werden vor allem Symptome behandelt: Es gibt Beratungsstellen, Notunterkünfte, Tagesstätten und mobile Angebote wie Kälte- oder Duschbusse, die Dominik betreibt, um den Menschen unmittelbar zu helfen.
Hilfsangebote sind wichtig, benötigen aber Finanzierung. 17 Prozent der Einrichtungen sind von Kürzungen betroffen oder bedroht, während der Bedarf steigt. Anna Großmann von einer Berliner Notunterkunft berichtete in der ARD, man sichere Grundversorgung, stoße aber an Grenzen, da weniger Beratung und Prävention bedeutet, dass Menschen zu spät Hilfe bekommen.
Wohnungspolitik – Wohnraum als Grundrecht denken
Sahra Mirow, sozialpolitische Sprecherin der Linken, kritisiert, dass viele Maßnahmen des Aktionsplans ohne gesicherte Finanzierung nur eine leere Fassade bleiben. Zwar gebe es laut SPD Mittel für einzelne Maßnahmen, doch der gleichzeitige Verlust von Sozialwohnungen, steigende Mieten und gekürzte Hilfsangebote widersprächen dem Ziel des Plans, meint unsere Reporterin.
"Wenn wir wollen, dass 2030 mehr ist als ein nettes Versprechen, dann muss Wohnraum als Grundrecht und nicht nur als Investment gedacht werden."
Strikte Sanktionen im Bürgergeld treiben zusätzlich Menschen aus ihren Wohnungen. Angebote, die nur Symptome behandeln, sind überlebenswichtig, beheben aber nur politische Fehlentwicklungen. Um das Ziel 2030 zu erreichen, müsse Wohnungspolitik Wohnraum als Grundrecht denken, nicht nur als Investment, sagt Wiebke.
Wohnungslosigkeit – Realität versus Pläne
Auch Dominik hält das Ziel der Regierung, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden, für unrealistisch. Er habe selbst am nationalen Aktionsplan mitgearbeitet, der drei Schwerpunkte habe: Prävention, damit Menschen ihre Wohnung nicht verlieren, Standards wie hygienische Bedingungen in Notunterkünften verbessern und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Seit dem Regierungswechsel habe er jedoch nichts aus dem Bauministerium gehört, weshalb er befürchtet, dass der Plan in der Schublade verschwunden ist.
"Meine große Angst ist, dass der Plan schon wieder ganz tief in den Schubladen verschwunden ist."
Solange sich nichts ändert, bleibt es für Menschen, die von der Straße kommen und kein soziales Umfeld haben, nahezu unmöglich, eine Wohnung zu finden, sagt er. Selbst nach seinem persönlichen Erfolg als Bestseller-Autor, Sozialunternehmer, Bundesverdienstkreuzträger lehnten Vermieter seine Bewerbung ab, weil er einmal wohnungslos war.