Aufatmen in IsraelGeiseln frei, Waffen ruhen und Frieden in Sicht?

Zum ersten Mal seit zwei Jahren Hoffnung im Nahen Osten. Alle Geiseln sind frei. Viele Menschen feiern, andere zweifeln. Ist das jetzt wirklich der Anfang von Frieden – oder wieder nur ein kurzer Moment ohne Krieg?

Sie tanzen, singen, schwingen Flaggen. Es ist der 13. Oktober 2025 in Tel Aviv. Schon am Abend zuvor haben sich tausende Menschen am sogenannten Platz der Geiseln versammelt. Sie feiern den Moment, in dem die letzten, noch lebenden Geiseln freigelassen werden. Die Terrororganisation Hamas hatte sie vor zwei Jahren verschleppt.

Die Menschen feiern das Ende der Geiselhaft – und US-Präsident Trump

738 Tage waren sie in Gefangenschaft. Als die Nachrichten von der Freilassung verkündet werden, stehen 60.000 Menschen auf dem Platz vereint und jubeln. Eine von ihnen ist Einav Zangauker, die Mutter eines Entführten, die in den vergangenen zwei Jahren besonders laut gegen Benjamin Netanjahu und seine Regierung protestiert hat.

Ofer Waldman, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, spricht mit Deutschlandfunk Nova regelmäßig über das Geschehen in Israel und Gaza. Er verfolgt die Ereignisse gemeinsam mit seinen Kindern im Fernsehen. "Ich habe den ganzen Morgen geheult, so wie viele andere Menschen in diesem Land", erzählt er. Und auch, wenn er jetzt von seinen Eindrücken, Gedanken und Gefühlen berichtet, ist immer wieder zu hören, wie berührt er ist.

"Wenn man das erste Mal seit zwei Jahren atmen kann, kann man auch wieder hoffen."
Ofer Waldman, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

Möglich geworden ist die Freilassung durch den Druck, den US-Präsident Donald Trump vor allem auf Israel ausgeübt hat. Und durch seinen umfassenden Plan für die Zukunft Gazas.

Deswegen feiert US-Präsident Donald Trump sich nicht nur selbst für diesen Erfolg, sondern ganz Israel feiert ihn überschwänglich, sagt Julio Segador, Korrespondent für Israel, Gaza und die palästinensischen Gebiete.

Als die Air Force One am Flughafen landet, steht auf der Landebahn: Trump made history, so unser Korrespondent. Den ganzen Tag ist er umringt von Menschen, die ihm die Hand schütteln. In der Knesset, dem israelischen Parlament, tragen Menschen Kappen, mit der Aufschrift "Friedensbringer Trump". Und auf dem sogenannten Platz der Geiseln sind an diesem Tag mindestens genauso viele US-Flaggen wie israelische Flaggen zu sehen.

"Trump muss sich da gar nicht groß inszenieren, denn er wird hier in Israel in der Tat als Heilsbringer gesehen.“
Julio Segador, Korrespondent in Tel Aviv

Ofer Waldman sieht diese starke Reaktion als Zeichen dafür, wie sehr die israelische Bevölkerung sich die Freilassung der Geiseln herbeigesehnt und sie sich in Form immer größer werdender Demonstrationen erkämpft hat. Seiner Einschätzung nach zeigt sie aber auch, dass die Menschen in Israel wissen, dass "der eigentliche Herrscher und Entscheidungsträger" aus Washington kommt. "Und er macht Ordnung nach seinem Stil. Und wie dieser Stil ist – das wissen wir", sagt der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung.

Erfüllen Hamas und Natanjahu Trumps Bedingungen?

Ofer Waldman hofft, dass die nun freigesetzte Energie, wie er es nennt, tatsächlich dafür genutzt wird, einen politischen Prozess zu starten mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens zwischen Israel und Gaza. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste laut Trump nun Phase zwei seines Plans eingeleitet werden. Um diese voranzutreiben, ist Trump nach seinem Besuch in Israel weiter nach Ägypten gereist, um dort Präsident Abd al-Fattah as-Sisi und viele weitere Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Friedrich Merz, zu treffen.

Doch wie und ob jene Phase zwei von Trumps Plan umgesetzt werden kann, ist derzeit unklar. Denn der Plan umfasst zum einen die Entmilitarisierung der Terrororganisation Hamas, zum anderen soll sich das israelische Militär bis zu einer vorgegebenen Linie zurückziehen. Stand jetzt kontrolliert es noch über 53 Prozent des Gazastreifens.

"Ob beides klappen wird, daran habe ich wirklich meine Zweifel", sagt Julio Segador ohne Umschweife. Die Hamas habe bereits angekündigt, sich nicht entwaffnen zu lassen. Im Gegenzug könnte das dem israelischen Militär das Argument liefern, sich eben nicht so weit zurückzuziehen, wie von Trump vorgesehen. Hinzu kommt, dass die Koalitionspartner von Benjamin Netanjahus Regierung angekündigt haben, den Krieg weiterführen zu wollen, wenn die Geiseln frei sind.

"Ich hoffe, dass der Friedensprozess, der nun hoffentlich für alle Menschen in dieser Region beginnt, im Lichte des Völkerrechts stehen wird."
Ofer Waldman, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

Ofer Waldman macht sich nichts vor: "Vielleicht werde ich in einigen Tagen bereuen, dass ich diese Worte jetzt ausspreche. Aber gerade fühlt es sich so an, dass man endlich wieder atmen und hoffen kann."

Er hofft, dass Trump es nicht nur bei den schönen Bildern vom 13. Oktober belässt, sondern beständig und geduldig bleibt. Er wünscht sich aber auch, dass die Zukunft des Nahen Ostens eben nicht nur von Trump abhängt, sondern dass sich die internationale Gemeinschaft an den Verhandlungen beteiligt. "Denn bis jetzt", kritisiert Ofer Waldman, "waren die Europäer – und das gilt auch für die Bundesregierung – Zaungäste."

In der Podcastfolge geht es außerdem darum, wie Gazas Zukunft aussehen könnte und die Traumata, auf der Seite der Israelis und Palästinenser*innen entstanden sind.