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Hunderttausende Menschen protestieren in Israel: Sie fordern die Freilassung der Geiseln und ein Ende des Krieges. Doch obwohl ein Vermittlungsangebot vorliegt, blockiert Premier Netanjahu – will er möglicherweise gar keinen Deal?

Es sind beeindruckende Bilder, die von der Demonstration am 26. August 2025 in Tel Aviv um die Welt gehen: brennende Reifen auf vierspurigen Straßen, riesige Rauchwolken in der Rushhour, dazu Schilder, Transparente, Plakate. Etwa 350.000 Teilnehmer*innen.

"Angst und Frust": Massenproteste gegen Krieg und Regierung

Doch nicht nur in Israels größter Stadt, sondern im ganzen Land gehen immer wieder Menschen auf die Straße. Unter ihnen sind Angehörige der Geiseln des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023, genauso wie Oppositionelle und Bürger*innen, die sich gegen die Politik des Premiers Benjamin Netanjahu und seiner Regierung stellen.

Auch Ofer Waldman geht immer wieder auf diese Demonstrationen. Er ist Autor, Publizist und Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. "Normalerweise spürt man bei Demonstrationen etwas Erhabenes, das Gefühl, nicht allein zu sein", erzählt er. "Aber wir spüren zurzeit nur Angst und Frust." Sein Land stehe am Abgrund.

"Der Krieg, der nicht aufhört, die schrecklichen Bilder aus Gaza, das Wissen um den Zustand der Geiseln, das Vorgehen der Regierung: Das alles lässt einen in diesem Land kaum atmen."
Ofer Waldman, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

Seit dem Angriff am 7. Oktober und dem Kriegsbeginn im Gazastreifen sind fast zwei Jahre vergangen. Für viele, die nun demonstrieren, gehe es um Solidarität mit den Geisel-Familien, aber auch um ein klares Signal: Wir stehen nicht hinter diesem Krieg. Wir stehen nicht hinter dieser Politik.

"Netanjahu und seine gesamte Koalition sind die Gegner der Demonstrierenden."
Ofer Waldman, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

In keiner Umfrage seit dem 7. Oktober hatte die Regierung Netanjahu eine Mehrheit, sagt Waldmann. Daran hätten auch vermeintliche militärische Erfolge wie die Angriffe auf den Libanon oder gegen den Iran im Großen und Ganzen nichts geändert. Gleichzeitig gebe es – Stand jetzt – keine Alternative zu der Koalition aus Rechtsextremen und Ultraorthodoxen. Weil die Opposition es nicht schaffe, sich zusammenzutun und eine glaubwürdige Alternative anzubieten.

Netanjahus kompromissloses Ringen um Macht

Als Korrespondent im ARD-Studio Tel Aviv beobachtet Jan-Christoph Kitzler die israelischen Proteste regelmäßig. "Es ist beeindruckend, wie viele Menschen immer noch die Kraft haben, auf die Straße zu gehen. Gleichzeitig spürt man Müdigkeit und Niedergeschlagenheit, weil sich nichts verändert", sagt er.

Ein möglicher Deal und hohe Hürden

Dabei gibt es einen Geisel-Deal, den Katar und Ägypten ausgearbeitet haben und den die Terrororganisation Hamas grundsätzlich akzeptiert hat. Er sieht vor:

  • eine 60-tägige Waffenruhe
  • Freilassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen und Lagern
  • Freilassung von zehn lebenden und Übergabe mehrerer toter israelischer Geiseln

Das Problem: Netanjahu fordert, dass alle israelischen Geiseln freikommen. Die Hamas wiederum verlangt eine Garantie für ein dauerhaftes Ende der Kämpfe – was wiederum Israel nicht zusagen will.

Donald Trumps ungenutzte Macht

In dieser Zwickmühle könnte einzig Druck von außen, also aus dem Ausland, etwas bewegen, meint Jan-Christoph Kitzler. Die mit Abstand bedeutendste Rolle spielen dabei die USA, weil Israel unter anderem von Waffenlieferungen und anderen Kooperationen mit den Vereinigten Staaten abhängt.

"Ein perverses Kalkül"

Doch aktuell, so der Korrespondent, deutet vieles darauf hin, dass Trump Netanjahu freie Hand lässt – wahrscheinlich bis Ende des Jahres. Und das könnte katastrophale Folgen haben: "Wenn die Kämpfe ausgeweitet werden, droht eine noch größere humanitäre Katastrophe."

"Solange der Krieg läuft, hält die Koalition. Das ist ein perverses Kalkül, wenn man die Lage im Gazastreifen sieht – aber es sichert Netanjahus Macht."
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Studio Tel Aviv

Für Ofer Waldman bleibt klar: Der Krieg muss enden. "Wir hatten einmal den Traum vom Frieden, von Koexistenz. Aber im Moment ist dieser Traum hinter den Wolken des Krieges fast unsichtbar." Gleichzeitig betont er, dass die Hamas kein unschuldiges Gegenüber sei, auf dessen Aussagen man sich verlassen könne. "Sie handeln extrem zynisch, das haben sie mehrfach gezeigt."

Trotzdem liege es in erster Linie in der Verantwortung der israelischen Regierung, alles zu tun, um die Geiseln nach Hause zu bringen und den Krieg zu beenden. Dafür, so Waldman, würden die Israelis immer wieder auf die Straße gehen.

"Es ist wichtig, dass die Welt weiß: Die Menschen in Israel gehen wieder auf die Straße. Die Menschen in Israel protestieren gegen diesen Krieg."
Ofer Waldman, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
Gaza-Krieg
Proteste in Israel: Wer stoppt Netanjahu?
vom 28. August 2025
Moderation: 
Ilka Knigge
Gesprächspartner: 
Ofer Waldman, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv
Gesprächspartner: 
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Studio Tel Aviv