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Während Trump und Netanjahu über Waffenruhe reden, sterben in Gaza weiter Menschen beim Versuch, an Essen zu kommen – ausgerechnet an Verteilzentren einer angeblich humanitären Organisation. Jouanna Hassoun organisiert in Berlin Suppenküchen und konkrete Hilfe für Gaza.

Nachrichten versucht Jouanna Hassoun nur noch bedingt zu verfolgen. Sie warte darauf, dass das Morden vor Ort aufhöre, doch Hoffnung habe sie kaum – vor allem wegen Trump und Netanyahu. Das rufe nur Wut in ihr hervor.

"Menschen warten auf den Tod"

Die Menschen in Gaza berichten ihr, dass sie nur noch auf den Tod warten, so die Menschenrechtsaktivistin. Sie seien völlig verzweifelt. Es gebe nicht genug zu essen und zu trinken. Täglich würden Menschen sterben, selbst wenn sie versuchten, Lebensmittel zu besorgen. Die Lage an den Verteilzentren ist katastrophal, sagt sie: "Es wird auf die Menschen geschossen, sie werden zu Tode getrampelt", sagt sie.

"Die Menschen warten auf den Tod. Sie sind völlig verzweifelt. Sie können nicht mehr."
Jouanna Hassoun, Menschenrechtsaktivistin

Zuletzt haben andere Konflikte und Themen den Krieg in Gaza in Medien etwas verdrängt, geändert hat sich nichts: Das israelische Militär hat die Großoffensive fortgesetzt. Die Bevölkerung wird in immer kleinere Gebiete gedrängt, berichtet die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann aus Tel Aviv. Inzwischen stehen etwa 80 Prozent des Gazastreifens unter solchen Anordnungen oder unter Kontrolle des israelischen Militärs.

Kritik an Verteilzentren der Gaza Parion Foundation

Die Lage in Gaza sei schlimmer denn je und verschlechterte sich täglich, so die Korrespondentin. Inzwischen gibt es nach einer elfwöchigen Totalblockade durch Israel minimale Hilfe über wenige Verteilzentren der umstrittenen Gaza Parion Foundation.

"Internationalen Hilfsorganisationen wie die Vereinten Nationen kritisieren, dass das kein unabhängiger humanitärer Akteur, sondern eine private Organisation ist."
Sophie von der Tann, ARD-Korrespondentin in Tel Aviv

Bei der Gaza Parion Foundation handelt es sich um eine private, von Israel und den USA unterstützte Organisation, bewacht von unzureichend ausgebildetem US-Sicherheitspersonal. Internationale Hilfsorganisationen kritisieren, dass sie kein unabhängiger humanitärer Akteur sei, so Sophie von der Tann. Zudem müssen Menschen gefährliche und weite Wege durchs Kriegsgebiet zurücklegen. Auch sind die Zentren nur zu bestimmten Zeiten geöffnet. Und immer wieder wird dort geschossen, so die Korrespondentin.

"Zynisch, das humanitär zu nennen"

Israel wirft der Terrororganisation Hamas vor, UN-Hilfsgüter zu plündern, sie teuer zu verkaufen und zur Machtsicherung zu nutzen. Die Vereinten Nationen (UN) bestreiten systematische Diebstähle. Dennoch besteht Israel darauf, Hilfe nur noch über ein eigenes, kontrolliertes System zuzulassen, so die Korrespondentin.

"Es ist zynisch, das humanitär zu nennen, wie die Menschen da um Hilfe kämpfen müssen und ihr Leben riskieren."
Sophie von der Tann, ARD-Korrespondentin in Tel Aviv

Die Hilfe erfolgt auf großen, umzäunten Flächen, wo Hilfspakete abgeladen und die unregelmäßig, teils nachts und nur für kurze Zeit, geöffnet werden. Ankündigungen erfolgen oft kurzfristig über Facebook. Viele übernachten dort, um Hilfe zu bekommen.

Es herrscht Chaos, so die Korrespondentin, mit teils unmenschlichen und lebensgefährlichen Szenen. "Es ist zynisch, das humanitär zu nennen, wie die Menschen da um Hilfe kämpfen müssen und ihr Leben riskieren", sagt sie.

Berichte über Schießbefehl an Verteilzentren

Über 170 Hilfsorganisationen und NGOs hätten zuletzt die Schließung der Gaza Parion Foundation gefordert, sagt die Menschenrechtsaktivistin Jouanna Hassoun. Hunderte Zivilisten seien dort getötet worden, israelische Truppen hätten regelmäßig das Feuer auf Menschen in der Nähe der Verteilzentren eröffnet.

"In einer israelischen Tageszeitung wurde anonym von Soldaten berichtet, dass sie den Befehl hätten, auf Menschen zu schießen, die auf Hilfsgüter warten."
Jouanna Hassoun, Menschenrechtsaktivistin

Augenzeugen hätten von Angriffen durch Panzer und Drohnen berichtet. In einer israelischen Zeitung sei zudem anonym von Soldaten behauptet worden, das Militärs den Befehl erhalten hätten, auf wartende Zivilisten zu schießen. Das israelische Militär weise diese Vorwürfe zurück, so Jouanna Hassoun.

Hilfe unter Lebensgefahr

Jouanna Hassoun versucht selbst Menschen vor Ort zu helfen – und zwar im Norden von Gaza. Die Arbeit verlaufe für die lokalen Helferinnen und Helfer unter ständiger Angst um das eigene Leben.

Sie organisieren wöchentlich Suppenküchen und Lebensmittelausgaben, die Wasserversorgung erfolgt zweimal pro Woche. Allein das Beschaffen einfacher Zutaten dauere oft Tage und sei extrem teuer. Ein halbes Kilo Linsen koste etwa fünf Euro.

"Die Hilfe funktioniert unter großer Angst, Furcht und der Gefahr, jederzeit getötet zu werden."
Jouanna Hassoun, Menschenrechtsaktivistin

Lebensmittel gebe es auf kleineren Märkten, wenn die offen seien, was wegen der anhaltenden Blockade selten der Fall ist. Das größte Problem sei, dass 90 Prozent der Menschen kein Einkommen und oft kein Zuhause haben, so die Menschenrechtsaktivistin. Sie seien auf Spenden angewiesen, um sich überhaupt etwas leisten zu können.

Netzwerk vertrauenswürdiger Menschen

Jouanna erklärt, man arbeite seit Langem mit lokalen Helferinnen und Ärzten zusammen, die sich trotz großer Gefahr von Ort zu Ort bewegen, um Hilfe zu organisieren. Entscheidend sei, dass sie über Spendengelder verfügten, die aufwendig über sichere Wege zu ihnen gelangten. Nur so könnten sie dringend benötigte Lebensmittel einkaufen.

Verlässliche Kontakte sind essenziell: "Menschen, denen man vertrauen kann, die nicht mit bewaffneten Gruppen in Verbindung stehen, die teils durch die israelische Armee ausgerüstet werden, um gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen", sagt Jouanna Hassoun.

Man arbeite mit Familienangehörigen von Ärzten oder Juristen zusammen, die teils in Ägypten leben und Familie in Gaza hätten. Diese versuchten im Chaos zu überleben und zu helfen. Um ihre Sicherheit zu gewährleisten, halte man die Identitäten möglichst anonym.

Zukunft ist ungewiss

Bei ihrem jüngsten Treffen haben Trump und Netanjahu auch über die Hilfszentren gesprochen, eine Waffenruhe war ebenfalls Thema. Korrespondentin Sophie von der Tann ist skeptisch, dass sich etwas ändert: Trotz großer Zerstörung in Gaza kündigte Netanjahu an, den Krieg fortzusetzen, um Hamas vollständig zu zerschlagen. Militärvertreter sagen jedoch, Hamas sei nur noch zu Guerillakämpfen fähig. Kritiker werfen Netanjahu vor, aus politischem Kalkül weiterzumachen – unter Druck rechter Koalitionspartner.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

  • Unboxing News
  • Moderation: Nik Potthoff
  • Gesprächspartnerin: Jouanna Hassoun, Menschenrechtsaktivistin
  • Gesprächspartnerin: Sophie von der Tann, ARD-Korrespondentin in Tel Aviv