An Superlativen spart US-Präsident Donald Trump für gewöhnlich nicht. Als er seinen neuen Friedensplan für den Gaza-Krieg präsentiert, spricht er von "einem der größten Tage in der Geschichte der Menschheit". Gemeinsam mit Israels Premier Benjamin Netanjahu stellte er Ende September (29.09.2025) bei einer Pressekonferenz ein Papier mit 20 Punkten vor, das nichts weniger verspricht, als den Krieg im Gazastreifen zu beenden.
Innerhalb von 72 Stunden sollen alle verbliebenen toten und lebenden Geiseln an Israel übergeben werden. Israel würde im Gegenzug 250 Palästinenser freilassen, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren. Dazu sollen weitere 1.700 palästinensische Gefangene freikommen, die nach dem 7. Oktober 2023 inhaftiert wurden.
Der Plan sieht außerdem vor:
- humanitäre Hilfe soll nach Gaza gelangen
- die israelische Armee zieht sich schrittweise zurück
- Hamas-Kämpfer sollen ihre Waffen abgeben. Wer es freiwillig tut, soll Amnestie erhalten
- eine Übergangsregierung aus Palästinensern und internationalen Experten soll gebildet werden. Die wird von einem "Board of Peace" kontrolliert, geleitet unter anderen von Donald Trump
- keine Vertreibung von Palästinensern und Aufbau des Gazastreifens
- die Terrororganisation Hamas soll in Zukunft keine Rolle mehr spielen
- möglicher Weg zur palästinensischen Selbstbestimmung wird in Aussicht gestellt
Jörg Poppendieck ist Korrespondent für die ARD in Tel Aviv. Seiner Einschätzung nach, ist das der detaillierteste Plan, der bislang vorgelegen hat. "Zum ersten Mal gibt es Antworten auf die Frage, wie es nach dem Krieg weitergehen könnte", sagt er.
Der Plan ist auch ein Ultimatum für die Hamas
Doch warum stimmt Israels Premier Netanjahu diesem Plan zu, obwohl er sich kürzlich in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York noch konfrontativ gezeigt hatte? Der Korrespondent ordnet ein: "Netanjahu steht unter massivem Druck, nicht nur von seiner eigenen Koalition und den arabischen Ländern, sondern mittlerweile auch von Trump." Daher, so Jörg Poppendieck, versucht Netanjahu nun, den 20-Punkte-Plan innenpolitisch als Erfolg zu verkaufen: Wenn er umgesetzt wird, hätte er seine Ziele, darunter die Geiselbefreiung und Entwaffnung der Hamas, erreicht.
International gibt es für Trumps Plan breite Unterstützung – sowohl von arabischen als auch von europäischen Staaten. Doch Jörg Poppendieck warnt: Zu Frieden oder einer Befreiung der Geiseln wird es dennoch nicht allzu schnell kommen. "Die Hamas wird nachverhandeln wollen. Und ohne ihre Zustimmung geht gar nichts", sagt er.
Der kritischste Punkt bleibt seiner Einschätzung nach die Entwaffnung der Hamas. Das wäre gleichbedeutend mit einer Kapitulation. Zudem fehlen der Hamas Garantien, dass Israel sich nach einer Geiselfreilassung nicht sofort wieder militärisch durchsetzt.
"Eine Abgabe der Waffen würde tatsächlich das Ende der Hamas bedeuten."
Die Pressekonferenz von Trump und Netanjahu hat auch Shai Hoffmann verfolgt. Der Aktivist und Podcaster arbeitet zu Themen rund um Israel und Palästina. Er beschreibt seine erste Reaktion: "Ich habe mehrfach gedacht, wie unfassbar es ist, dass Trump wieder nur über sich spricht. Und Netanjahu stellte den Plan im Prinzip wie ein Ultimatum vor: Entweder Hamas stimmt zu oder Israel beendet den Job – was auch immer das heißt."
Den Auftritt der beiden Politiker nennt Shai Hoffmann hegemonial. Wie könne man verhandeln, ohne die Gegenseite mit an den Verhandlungstisch zu holen? Außerdem sind seiner Ansicht nach viel zu viele Fragen offen. Wie sollte eine mögliche unter anderem aus Experten bestehende palästinensische Übergangsregierung aussehen? Wer sollte sie wählen? Shai Hoffmann fürchtet: "Wenn die USA mitbestimmen, sehe ich die Gefahr, dass es nicht im Sinne der Palästinenser ist." Er erinnert in diesem Zusammenhang an die Pläne Trumps, aus dem Gazastreifen die "Riviera des Nahen Ostens" zu machen, was letztlich eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung bedeutet hätte.
Trotz allem: ein schwacher Hoffnungsschimmer
Kritik, Zweifel und Vorbehalte überwiegen bei Shai Hoffmann in Bezug auf den 20-Punkte-Plan. Die Hoffnung will er dennoch nicht aufgeben und erkennt in der jetzigen Entwicklung auch die Chance auf einen möglichen Fortschritt an.
"So nah wie jetzt war die Chance lange nicht, das Leid der Menschen im Gazastreifen zu beenden und die Geiseln freizubekommen.“
Warten auf eine Wende nach zwei Jahren Krieg
Jörg Poppendieck glaubt, dass die israelische Seite bereit ist, den von Trump erarbeiteten Plan umzusetzen. Denn selbst wenn Netanjahus Koalition ihre Drohung wahrmachen sollte und zerbrechen würde, habe die Opposition signalisiert, einzuspringen, um eine Mehrheit zu sichern. Der Knackpunkt bleibt, so der Journalist, die Hamas: "Ob sie zustimmt, hängt von der Führung ab, die im Politbüro in Doha sitzt. Ohne sie geht gar nichts."
Nach zwei Jahren Krieg, zehntausenden Toten im Gazastreifen und rund zwei Millionen Menschen in Not wartet die Welt, warten vor allem die Menschen im Nahen Osten auf eine Wende. Und auch wenn Jörg Poppendieck davon spricht, dass da nun "etwas in Bewegung gekommen ist", gibt er im selben Atemzug zu bedenken: "Vieles ist vage, mit heißer Nadel gestrickt. Euphorie weicht hier im Nahen Osten erfahrungsgemäß schnell der Ernüchterung.“
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