Zehn Jahre Arabischer FrühlingGescheiterte Revolution in Syrien

Ende 2010 gingen Millionen Menschen in der arabischen Welt für mehr Freiheit und Demokratie auf die Straße. Auch die Menschen in Syrien lehnten sich gegen ihr Regime auf. Es folgten Bürgerkrieg, Flucht und Leid, aber auch eine Gesellschaft, die sich emanzipieren will, weiß Nahost-Expertin Kristin Helberg.

Als Ende 2010 vor allem junge Menschen in der arabischen Welt auf die Straße gingen, um für mehr Freiheit, Arbeitsplätze und Mitspracherecht zu demonstrieren, schaute die westliche Welt gebannt in ihre Richtung. Die Menschen in Syrien konnten damals noch gar nicht fassen, dass so etwas möglich war, sagt Kristin Helberg, freie Journalistin und Nahost-Expertin. Sie war damals selbst in Damaskus und sah, was es mit den Menschen machte, als langjährige Machthaber wie Ben Ali in Tunesien und Husni Mubarak in Ägypten abgesetzt wurden.

Menschen in Syrien: zwischen Angst und dem Wunsch nach Freiheit

Zu dem Zeitpunkt war die Angst der Syrerinnen und Syrer vor dem Regime zu groß, aber die Unzufriedenheit der Menschen, das Gefühl von Ungerechtigkeit, Willkür, Unterdrückung kannten sie schon lange, sagte Kristin Helberg.

Schließlich lief das Fass auch in Syrien über: Als in der Stadt Daraa Kinder verhaftet wurden, weil sie Parolen an die Wände ihrer Schule geschmiert hatten, gingen deren Eltern auf die Straße. Es gab Tote. Viele andere Orte in Syrien solidarisierten sich mit Daraa. "Und so kam", wie Kristin Helberg es nennt, "dieser Flickenteppich des zivilen Widerstandes zustande. Es war keine einheitlich organisierte nationale Bewegung, sondern viele Proteste hier und da."

Viel Verbitterung, aber auch Selbstreflexion

Heute, zehn Jahre später, herrscht in Syrien immer noch Krieg, Millionen sind auf der Flucht und Machthaber Baschar al-Asad ist immer noch im Amt – seit inzwischen 20 Jahren. Zuvor herrschte sein Vater jahrzehntelang über das Land.

Von dieser Warte aus gesehen ist die Revolution in Syrien gescheitert. Deswegen gibt es auch viel Verbitterung und Enttäuschung, weiß Kristin Helberg. Die Demonstranten von damals reflektieren die vergangenen Jahre aber auf eine andere Weise. Sie sagen, dass sie selbst und ihre Gesellschaft damals noch nicht reif waren für eine solche Revolution.

"Wir brauchen eine Revolution bei jedem einzelnen. Wir müssen an unserem eigenen Autoritarismus arbeiten. Wir müssen uns fragen, wie gehen wir mit unseren Partnern um, mit unseren Kindern. Erst dann können wir auf staatlicher Ebene so etwas wie Demokratie erreichen."
Kristin Helberg, Journalistin und Nahost-Expertin

Die Gründe für das Scheitern der Revolution sind laut Kristin Helberg vielfältig. Zunächst gebe es in Syrien keine Zivilgesellschaft, die unabhängig vom Staat existiert, also keine Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisation, die hätten mitwirken können.

"Alle Institutionen - das Militär, die Polizei, Justiz und Verwaltung - sind dazu da, um Assad an der Macht zu halten."
Kristin Helberg, Journalistin und Nahost-Expertin, über die Freiheitsbewegung in Syrien

Außerdem habe sich die Internationale Gemeinschaft jahrelang nicht einigen können. Der russische Präsident hatte sich auf Assads Seite gestellt und mit seinem Veto den Weltsicherheitsrat blockiert. Daraufhin hat die internationale Gemeinschaft keine einheitliche Regelung für Syrien gefunden und damit keinen Frieden.

Internet und soziale Medien bieten vielfältigere Berichterstattung

Heute fühlt sich das syrische Regime in seiner Macht bestätigt. Die Aufstände hatte es damals als "Verschwörung aus dem Ausland" bezeichnet. Trotzdem glaubt die Journalistin, die Revolution habe etwas Positives gebracht. "In den letzten zehn Jahren sind zehntausende junge Syrer in Gebieten außerhalb des Regimes aufgewachsen. Das ist eine Erfahrung, die man den Menschen nicht nehmen kann." Außerdem sei das staatliche Medienmonopol durch die Berichterstattung im Internet und in sozialen Medien gebrochen. Das heißt, die öffentliche Meinung lässt sich nicht mehr so einfach kontrollieren wie früher.

Zu guter Letzt schöpft Kristin Helberg Hoffnung, weil sie beobachtet, dass eine Zivilgesellschaft in Syrien entsteht. Die sei zwar schwach, zerrüttet und traumatisiert, aber diese Menschen haben auch die Erfahrung gemacht, dass man etwas bewegen kann. Und das sei nicht mehr umkehrbar.