ErwachsenwerdenMit den Eltern auf Augenhöhe

Viele von uns haben ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern. Sie bleiben für uns lange Beschützer, Ansprechpartner, Kummerkasten. Doch irgendwann ändert sich unsere Beziehung zu den Eltern – der Moment, indem wir uns (endlich) so richtig erwachsen fühlen.

"Wir werden deutlich später erwachsen als früher" – es sei ein Prozess in vielen Etappen, der Übergang sei fließend, sagt Angelika Guglhör-Rudan vom Deutschen Jugendinstitut in München. Die Jugendphase, zwischen Kindheit und Erwachsensein, ist heute sehr viel länger und viele Phasen der Abnabelung werden auch mehrmals durchlaufen: Erst ziehen wir Zuhause aus. Endlich unabhängig! Ab in die Großstadt für den neuen Traumjob.

Dann die unvorhergesehene Kehrtwende: Plötzlich arbeitslos und pleite. Und dann? Geht es oft zurück zu Mama und Papa. Viele Menschen zwischen 18 und 35 haben ein sehr enges Verhältnis zu den Eltern.

Das ewige Kind

In der Wissenschaft gibt es mittlerweile einen Fachbegriff für das Phänomen: "Emerging Adulthood", das "entwickelnde Erwachsensein." Damit ist gemeint, dass früher der Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenwerden deutlicher war. Es gab klare Brüche: Auszug, Job, Partnerschaft, Heirat, Kinder. Heute haben wir zwar mehr Möglichkeiten, dafür aber auch mehr Unsicherheiten. Viele studieren länger, hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, eine unbefristete Arbeitsstelle ist die Ausnahme. Die Ablösung vom Elternhaus dauert deshalb deutlich länger.

"Es gab früher klare Statusübergänge. Wenn man die durchlaufen hat, dann war man erwachsen: das eigene Haus oder finanzielle Unabhängigkeit. Heute kann man auch ohne all das erwachsen werden."
Angelika Guglhör-Rudan, Deutsches Jugendinstitut München

Genaue Zahlen, wie lange die Phase "Emerging Adulthood" dauert, gibt es nicht. Eine Studie des Statistischen Bundesamts zeigt aber, dass junge Erwachsene länger bei den Eltern wohnen als früher. Mit 23 Jahren lebt rund die Hälfte aller Männer noch bei Mutti. Mit 30 Jahren sind es immerhin noch 12 Prozent. Ab wann fühlen wir uns heute also richtig erwachsen? Wenn wir das erste Bügeleisen kaufen oder erst bei der Geburt unseres ersten Kindes? Für Angelika Guglhör-Rudan gibt es DEN einen Moment nicht, es sei eher ein Gefühl, sagt sie.

"Je mehr man Bereiche hat, in denen man sich autonom fühlt, desto eher fühlt man sich erwachsen und dann ist man das auch."
Angelika Guglhör-Rudan, Deutsches Jugendinstitut München

Einmal Tochter, immer Tochter

Das Gefühl, Kind zu sein, verschwindet bei vielen nie so ganz – auch nicht, wenn wir älter werden. Magdalena Bienert arbeitet als Journalistin und ist selbst Mutter. Bei ihrer eigenen Mama schlüpft sie trotzdem auch heute noch in die Tochter-Rolle.

"Meine Mama ist ein heißer Feger, Single, und Anfang 70", bemerkt sie irgendwann. Sie begibt sich auf eine ungewöhnliche Suche: nach einem Mann für Mama Monika. Sie begleitet die Suche nach Mr. Right für einen Podcast mit dem Mikrofon.

Auf Dating-Tour mit Mama

Um den Richtigen zu finden, lassen die beiden nichts aus: von analog bis digital, von Blinddate bis zum Tanzcafé. Es ist kein leichtes Vorhaben, denn ihre Mutter ist anspruchsvoll. Den Traummann haben sie nicht gefunden, aber dafür sind sich die beiden näher gekommen.

"Wir sind uns auf Augenhöhe begegnet – wie zwei erwachsene Frauen. Wir haben das erste Mal das Level von Kind-Eltern verlassen, ohne dass eine der anderen einen Rat geben will oder sie bevormundet."
Magdalena Bienert, Journalistin

Ist Mama jetzt die beste Freundin? Auf keinen Fall, sagt Magdalena. Auch wenn sie in der Dating-Phase viele Gespräche geführt haben, in denen sie aus ihrer Tochter-Rolle herausgetreten ist, steht eins fest: Einmal Mutter, immer Mutter. Die Grenze war immer klar, sagt Magdalena.

"Ich fühle mich schon erwachsener im Umgang mit meiner Mutter. Es hat unsere Beziehung auf ein anderes Level gebracht. Aber eins ist klar: Einmal Mutter, immer Mutter."
Magdalena Bienert, Journalistin

Für Magdalena war die Erfahrung sehr bereichernd, erzählt sie. Denn obwohl sie schon immer ein enges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte, habe sie sie auf eine ganz andere Art und Weise noch besser kennengelernt.