DatingIst Monogamie out?
Paul hat mit seiner Ex-Freundin in einer offenen Beziehung gelebt, obwohl er das nicht wirklich wollte. Er mag Monogamie, stellt aber fest: Bei vielen ist gerade ein offenes Modell angesagt. Zwei Expertinnen erklären, was wir für uns klären sollten.
"Was mache ich eigentlich hier? Das will ich doch gar nicht", diese Gedanken gingen Paul durch den Kopf, als er auf einem Date war – mit einer Frau, die nicht seine Freundin war.
Er dachte, er müsse sich mit anderen treffen, weil er und seine damalige Freundin ihre Beziehung geöffnet hatten. Aber als es dann so weit war und ihm sein Date gegenübersaß, fiel ihm auf: Bei fast allem, was er dort sagte, erzählte er von seiner Freundin. Er trug auch eine Kette, auf der ihr Name steht.
Eigene Bedürfnisse und Verlustangst
Sich mit anderen zu treffen und mit ihnen Sex zu haben, außerhalb der Beziehung mit seiner Freundin, das möchte Paul eigentlich nicht. Er möchte monogam leben. Paul ließ sich dann aber trotzdem darauf ein und die beiden öffneten ihre Partnerschaft.
"Ich bin mir selbst nicht treu geblieben und habe Sachen gemacht, die ich nicht machen wollte."
Rückblickend stellt er fest, dass seine Entscheidung mit viel Druck einherging: Er wollte seine Partnerin nicht verlieren. "Ich dachte mir: Eigentlich widerspricht das ein bisschen meinem Grundgedanken, wie ich mir eine positive und gesunde Beziehung vorstelle, aber ich will mich auch nicht verschließen und sagen 'alles ist kacke'. Sondern ich gebe mir die Chance, mich dafür zu öffnen und zu schauen, wie finde ich das?", erzählt er. Es zeigt sich aber: Paul bereitet das Bauchschmerzen. Über Monate fühlt er sich nicht wohl. Er hat aus einer Verlustangst gehandelt.
Als Paul dann wieder bereit ist, jemanden kennenzulernen, fällt ihm auf, wie viele auf Dating-Apps ein offenes Beziehungsmodell leben. Bei jedem zweiten Profil, das Paul auf den Apps vorgeschlagen wird, steht "nicht-monogam" oder "in einer glücklichen offenen Beziehung", erinnert er sich. Das macht ihn sauer und er fragt sich: Will sich eigentlich niemand mehr binden? Soll alles offenbleiben?
Offene Beziehung – aus psychologischer Sicht
Über Studien oder Zahlen lässt sich Pauls Eindruck nicht belastbar belegen. Aber: Offene Beziehungen werden mehr zum Thema gemacht, das beobachtet Sozialpsychologin Johanna Degen in ihrer Arbeit. Der Diskurs habe sich verändert. Offene Beziehungsmodelle und Polyamorie sind entstigmatisiert und werden öffentlich besprochen, sagt sie.
Dabei kommt es auch darauf an, um welche Gruppe es geht. "In klassisch homosexuellen männlichen Milieus zum Beispiel gibt es schon seit sehr langer Zeit eine Tradition für offene Beziehungsmodelle. Da ist es fast das Normale oder sogar das neue Konservative, offene Beziehungsmodelle zu haben und fast wieder neu, wild und progressiv geschlossene Beziehungsmodelle zu denken", erklärt die Sozialpsychologin.
Bei hetero Paaren sind offene Beziehungsmodelle hingegen eher neu. Wobei es hierbei um statistische Tendenzen geht. Individuell kann das also immer unterschiedlich aussehen.
"Es geht darum, seine eigene Wahrheit zu finden, danach zu leben und zu kommunizieren. Es gilt 'No shame, Honey' – und zwar in alle Richtungen."
Dabei ist weder das eine noch das andere Modell besser oder schlechter. Momentan würden offene Modelle in Debatten als spannend, neu und reflektierter dargestellt. Tatsächlich sollte es aber darum gehen, seine eigene Wahrheit herauszufinden. "Es muss ergebnisoffen verhandelt werden und individuell flexibel. Nur dann kann es schön sein", so Johanna Degen.
Monogam, polyamor, offen
Welches Modell sich für uns gut anfühlt, kann sich im Laufe der Zeit ändern. Was für eine Form der Beziehung wir führen möchten, ist auch eine Frage unserer Bedürfnisse, sagt Beziehungscoach und Autorin Aino Simon.
Sicherheit und Stabilität zum Beispiel deuten eher auf ein monogames Modell hin. Zu Selbstbestimmung und Autonomie könnte wiederum ein offenes Modell passen. "Es geht darum zu schauen, welche Wünsche dahinter stehen und mit welchen Beziehungsregeln wir beide am ehesten zu einem Gefühl der Erfüllung und Befriedigung kommen", erklärt sie.
"Eine Beziehung ist dann gut, wenn sie den beteiligten Menschen hilft, ihre ureigenen Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen."
Wenn die eine Person monogam leben möchte und die andere offen, hält Aino Simon es für wichtig, das Fundament der Beziehung klarzuhaben und sich gemeinsam zu fragen:
- Wer sind wir füreinander?
- Was macht uns aus?
- Wie sorgen wir dafür, dass Nähe entsteht?
Dabei könne auch ein Rahmen abgesteckt werden, der Raum zum Ausprobieren gibt. Für eine offene Beziehung zum Beispiel braucht es Vorbereitung und auch bestimmte Kompetenzen. "Liebesfähigkeiten, Kommunikationsfähigkeiten und auch die Fähigkeit, schwere Gefühle – deine eigenen schweren Gefühle, aber auch die deiner Partnerin – auszuhalten und damit einen guten Umgang zu finden", so Beziehungscoach und Autorin Aino Simon.
Sie spricht sich generell dafür aus, monogame und offene Beziehungsmodelle als ein Spektrum zu betrachten. So begegnen wir uns auf Augenhöhe, statt die Modelle gegeneinander auszuspielen.
In der Podcast-Folge geht es noch mehr darum, wie wir uns über unsere Bedürfnisse in einer Beziehung klar werden können und auch um den Eindruck, ob offene Beziehungen besonders von jungen Menschen in Großstädten gelebt werden. Klickt dafür oben auf den Play-Button.
Hinweis: Das Bild oben im Header ist ein Symbolbild und zeigt nicht Paul.