Charta von AthenFür eine "autogerechte Stadt"

Im Sommer 1933 entwickeln Städteplaner und Architekten ein gemeinschaftliches Konzept für die Stadt der Zukunft: Die Charta von Athen. Sie ist vor allem eins: autogerecht. Auch der Wiederaufbau von westdeutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg orientiert sich daran.

Es ist eine erstaunliche Idee, die im Sommer 1933 ein paar Dutzend Architekten und Städteplaner an Deck des Passagier-Frachtschiffes Patris II bringt. Sie sind eingeladen zu einer Rundfahrt durchs Mittelmeer mit dem Ziel Athen.

Aber nicht zum Vergnügen, sondern um zu arbeiten. Sie sollen über die Zukunft der Stadt nachdenken und Entwürfe entwickeln, wie sich Arbeiten und Leben, Einkaufen und Erholung am besten in einer modernen Stadtplanung niederschlagen sollten.

Dazu hören sie während ihrer Reise Vorträge, beugen sich über Stadtpläne von Paris, Berlin und anderen Metropolen und entwickeln den Plan einer perfekten Stadt.

"Le Corbusier hat sich nie mit behutsamen, einfachen Lösungen zufriedengegeben. Das hat natürlich auch sein Charisma ausgemacht."
Ursula Muscheler, Architektin

Einer der Teilnehmer ist der Architekt und Stadtplaner Charles-Édouard Jeanneret-Gris, der sich Le Corbusier nennt und einer der bekanntesten seiner Zunft ist.

Für ihn sind die Städte nichts als ein großes, unkoordiniertes Durcheinander. Sie genügen allenfalls den Ansprüchen einer vorindustriellen Ansiedlung, nicht aber den Erfordernissen einer schnell wachsenden, von vielen Autos geprägten modernen Großstadt.

Darin – so die Vorstellung – sollten in unterschiedlichen Vierteln die Menschen arbeiten, wohnen, einkaufen und sich erholen können. Dazwischen sollten weite Grünanlagen die Stadt lebens- und liebenswerter machen und durch breite Straßen miteinander verbunden werden.

Von der autogerechten zur menschengerechten Stadt

Als die internationalen Städteplaner am 10. August die Patris II wieder verlassen, haben sie einen Plan entwickelt für die Stadt der Zukunft. Zehn Jahre später wird dies als Charta von Athen zu Papier gebracht.

Mit der "Neuen Charta von Leipzig" wird seit 2020 an einer "Stadt für das Gemeinwohl" gearbeitet. Aus der "autogerechten" ist innerhalb von 90 Jahren eine "menschengerechte" Stadt geworden.

Ihr hört in Eine Stunde History:

  • Die Düsseldorfer Architektin Ursula Muscheler beschreibt den Urheber der Charta von Athen, Le Corbusier.
  • Der Architekturhistoriker Jörn Düwel beschreibt die Folgen der Charta von Athen nach dem Zweiten Weltkrieg
  • Peter Jakubowski vom Bonner Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung erläutert Ziele und Inhalte der Neuen Charta von Leipzig
  • Deutschlandfunk Nova - Geschichtsexperte Matthias von Hellfeld beschreibt die Situation in den Städten im ausgehenden 19. Jahrhundert
  • Deutschlandfunk Nova-Reporter Martin Krinner schildert die Mittelmeer-Rundfahrt der Stadtplaner und Architekten im August 1933