Der Aufstieg des Recep Tayyip E.Mit Faust und Rhetorik

Nach dem Putschversuch am 15. Juli greift der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei äußerst hart durch. Die Journalistin Cigdem Akyol hat sich zwei Jahre lang mit dem Phänomen Erdogan befasst. Der Präsident hat die mehrfachen Interviewanfragen Akyols nicht beantwortet. Sämtliche Informationen für "Erdogan – Die Biografie" hat die Autorin aus Archiven, Interviews und Gesprächen zusammengesammelt.

"Erdogan ist für viele Türken der, der von ganz unten kam - und der den Menschen von dort jetzt eine Stimme verleiht."
Cigdem Akyol, Journalistin und Buchautorin

Was in der Türkei gerade passiere - der Putschversuch und auch die anschließende "Säuberungswelle" - erschrecke sie sehr, sagt Cigdem Akyol. Damit habe sie nicht gerechnet. Die Journalistin und Autorin lebt und arbeitet in Istanbul. Dort hat sie auch die Putschnacht erlebt. In ihrem Buch versucht Akyol, die aus Herne im Ruhrgebiet stammt, den Aufstieg des heutigen türkischen Staatspräsidenten nachvollziehbar zu machen.

Die Geschichte von Recep Tayyip Erdogan

Recep, der jüngste von fünf Geschwistern, ist im Istanbuler Stadtteil Kasımpaşa aufgewachsen, erzählt Akyol. Kasımpaşa sei früher ein Ort der Zugezogenen vom schwarzen Meer gewesen, ein Ort der sogenannten "Unterschicht", der "schwarzen Türken". Es war ein eigener Kosmos, ein Viertel, das sehr religiös konservativ war, sagt Akyol. Und es sei fast schon ein Armenviertel gewesen: Ohne gepflasterte Straßen, mit schlechten Strom- und Wasserleitungen. Mit Müll, der auf der Straße lag.

"Es war eigentlich nicht vorgesehen, dass jemand aus dieser Gegend mal aufsteigen könnte."
Cigdem Akyol

Erdogan sei geschickt darin, wenn es um Legendenbildung gehe, sagt Akyol. Daher betone er bestimmte Teile seiner Biographie besonders häufig.

  • Nach der Schule musste er Geld verdienen, um sich Schulbücher leisten zu können
  • Dinge wie Spielzeug oder "solche absurden Sachen wie Waschmaschinen" habe es in seiner Kindheit nicht gegeben
"Auf der Straße musste Erdogan lernen, sich durchzusetzen: mit der Faust und mit harter verbaler Rhetorik."
Cigdem Akyol

Deshalb inszeniere sich der türkische Präsident auch als der Aufsteiger von ganz unten. Als jemand, dem nichts geschenkt wurde. Und deswegen sei Erdogan auch so beliebt bei den Türken.

Prägendes Ereignis: Verhaftung wegen eines Gedichts

Man mag es heute nicht mehr glauben, sagt Akyol, aber Erdogan saß 1999 wegen eines Gedichtes im türkischen Gefängnis. Er trug damals Teile des Gedichts eines türkischen Nationalisten vor, dass in vielen türkischen Geschichtsbüchern steht.

"Er wurde früher in der Schule auch die "Koran-Nachtigall" genannt, weil er so gerne rezitiert hat."
Cigdem Akyol

Die Opposition, die Kemalisten, hätten ihn damals im Gefängnis sehen wollen, sagt Akyol. In dem Moment, als er das Gedicht vortrug, hätten sie die Chance genutzt. Mit dem Gedicht habe er zum Sturz der Regierung aufgerufen, begründeten die Richter damals.

"Die Kemalisten fürchteten damals, dass Erdogan das Land islamistisch unterwandern würde."
Cigdem Akyol

Schon damals hatte Erdogan viele Menschen auf seiner Seite. Die Leute standen Schlange, um den beliebten Istanbuler Lokalpolitiker im Knast zu besuchen. Nach vier (statt eigentlich 10 Monaten) konnte Erdogan das Gefängnis dann wieder verlassen. Eigentlich hatte er ein lebenslanges Politik-Verbot. Stattdessen gründete er eine neue Partei: die AKP. Er baute die AKP realpolitisch auf und punktete mit seinem Wirtschaftsprogramm.

Vom Weggefährten zum Feind: Fethullah Gülen

Die türkische Regierung macht den heute in den USA lebenden Prediger für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich und geht seither mit großer Härte gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor. Gülen gilt als der mächtigste Feind Erdogans. Früher war das anders, da fühlten sich beide noch verbunden.

"Die beiden sind seit den 90er Jahren Weggefährten gewesen, keine Freunde, dafür gibt es keine Belege."
Cigdem Akyol

Mit dem Militär hatten beide einen gemeinsamen Gegner, sagt Akyol. Gülen habe Erdogan lange unterstützt. Seine Anhänger auf der ganzen Welt hätten die AKP gewählt. Als es dann aber später darum ging, die "erlegte Beute zu teilen", da habe Erdogan dann nicht mehr mitgespielt. Beide hätten dann ihre Giftboxen ausgepackt – der Kampf endete dann 2013 in einem gigantischen Korruptionsskandal, sagt Akyol.

"Als Erdogan immer mächtiger wurde, wollte er seine Macht nicht mehr teilen mit Gülen – mit dem Mann, der ihn auf dem Weg nach oben sehr stark unterstützt hat."
Cigdem Akyol

Gülen habe dann angefangen, Erdogan öffentlich zu kritisieren. Und diese massive Kritik habe Erdogan nicht geduldet. Seit 2013 gehe er daher massiv gegen die Gülen-Bewegung vor.

"Erdogan – Die Biografie" erschien im April 2016. Es ist bereits Akyols zweites Buch über Erdogans Politik, das erste erschien 2015 und hieß "Generation Erdogan: Die Türkei - ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert".