Deutsches KaiserreichAls Lehrerinnen noch ihren Job verloren, wenn sie heirateten

Heute kaum vorstellbar: Im Deutschen Kaiserreich müssen Lehrerinnen damit rechnen ihren Job zu verlieren, wenn sie heiraten. Am 11. August 1919 hat die Weimarer Republik das Gesetz vorübergehend aufgehoben und 1923 wieder eingeführt. Bis 1951 war das Lehrerinnen-Zölibat in Kraft, bevor es endgültig gestrichen wurde.

Wenn wir heute von einem Lehrerinnen-Zölibat sprechen, geht es genau genommen um ein Zölibat, das für alle Beamtinnen im Kaiserreich galt, sagt die Historikerin Anja Schüler. 1879 ist die gesetzliche Regelung für das Zölibat im Großherzogtum Baden eingeführt und danach auf das gesamte Deutsche Reich ausgeweitet worden.

Lange Zeit war die Ausbildung zur Lehrerin für bürgerliche Frauen die einzige Chance gewesen, eine weiterführende Schule zu besuchen. In der Regel war der Schulbesuch für Mädchen nach der achten oder neunten Klasse zu Ende, sagt die Historikerin. Die sogenannten Mädchenschulen, die Frauen besuchten, haben sie hauptsächlich auf Aufgaben in Familie und Haushalt vorbereitet.

"Diese Regelung entzog Beamtinnen und somit auch Lehrerinnen bei der Heirat den Beamtenstatus. Damit konnte ihnen gekündigt werden."
Anja Schüler, Historikerin

Mit Ende des Ersten Weltkriegs hat eine Modernisierungsphase begonnen und 1918 ist das Frauenwahlrecht eingeführt worden. In der ersten Weimarer Nationalversammlung, die von Männern und Frauen gewählt worden ist, war jeder zehnte Abgeordnete eine Frau. Solch ein hoher Frauenanteil ist erst 1983 in der Bundesrepublik wieder erreicht worden.

Frauenwahlrecht

Ausschlaggebend für die Aufhebung des Beamtinnen-Zölibats war Artikel 109 der Weimarer Verfassung, sagt Anja Schüler. Darin heißt es sinngemäß, dass Frauen und Männer grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben. Ein erster Schritt Richtung Gleichberechtigung. Durch die Verfassungsreform ist das Beamtinnen-Zölibat verfassungswidrig geworden, sagt die Historikerin.

"Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs sehen wir uns einem Modernisierungsschub gegenüber. Der schlug sich in vielen Gesetzen und teilweise auch in der Verfassung nieder: zum Beispiel in der Einführung des Frauenwahlrechts. Die Abschaffung des Beamtinnen-Zölibats ging damit einher."
Anja Schüler, Historikerin

Frauen und Männer nur "grundsätzlich" gleich

Gleichzeitig hat der Verfassungsartikel 109 eine Hintertür zur Wiedereinführung des Beamtinnen-Zölibats offen gelassen. Dort stand: Frauen und Männer seien nur "grundsätzlich" gleich. Diese Formulierung hat der Staat genutzt, wenn Stellen nicht besetzt werden konnten. 1923 hat es aber wieder genug Lehrer gegeben, sodass es keinen Bedarf mehr an Lehrerinnen gegeben hat - das Lehrerinnen-Zölibat wurde wieder eingeführt. Für viele Berufszweige haben Frauen nur als "Reserve" gegolten.

"Wenn man sie gebraucht hat, wurden sie eingestellt. Und wenn der Staat klamm war, wurden sie eben wieder entlassen."
Anja Schüler, Historikerin

Als der Parlamentarische Rat 1948/49 den eingeschränkten Gleichstellungsgrundsatz aus Artikel 109 der Weimarer Verfassung erhalten wollte, haben vier weiblichen Mitglieder des Parlamentarischen Rats – Anja Schüler bezeichnet sie als "unsere Mütter des Grundgesetzes" – eine Kampagne dagegen gestartet.

"Protestnoten von Frauen trafen waschkörbeweise in Bonn ein", sagt die Historikerin Anja Schüler. Im Artikel 3 des Grundgesetzes wird festgehalten, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Damit ist das Lehrerinnen-Zölibat verfassungswidrig und somit auch endgültig abgeschafft worden.