Sportsoziologin über Fußball"Der eine oder andere war schon überrascht, dass die EM in drei Tagen startet"

Fußball-Euphorie trotz Corona und politischer Spannungen - geht das? Die Sportsoziologin Christiana Schallhorn erzählt uns von ihren Beobachtungen während der EM.

Wo sind eigentlich die Deutschlandflaggen und EM-Krapfen? Das Stimmungshoch deutscher Fußballfans hielt sich im Vorfeld der Europameisterschaft in Grenzen. Das sieht auch die Sportsoziologin Christiana Schallhorn von der Universität in Mainz so. So verliefen die Wochen vor der EM laut der Expertin "erstaunlich ruhig". "Der eine oder andere war schon überrascht, dass die EM in drei Tagen startet." Die Gründe dafür führt sie nicht ausschließlich auf Corona zurück. Vor allem die zuletzt eher schwächeren Leistungen der DFB-Elf hätten bei den Fans vorab eher für Desinteresse gesorgt.

"Die Erwartungshaltung, dass man in dem Turnier weiterkommen kann, war ziemlich gering."
Christiana Schallhorn, Juniorprofessorin für Sportsoziologie an der Universität Mainz

Aus wissenschaftlicher Sicht könne man dennoch sagen, dass die Pandemie auch ihren Teil zur verhaltenen Freude beigetragen habe. So seien der Anblick von größeren Menschenmengen und Zuschauern ohne Masken im Stadion für uns nach wie vor irritierend. Bei vielen Fans führt das zum Hadern mit der eigenen Einstellung. "Hätte es die Pandemie nicht gegeben, wäre die EM ein riesen Event gewesen", meint Christiana Schallhorn. So aber hinterlässt das Turnier, welches in mehreren Staaten ausgetragen wird, ein mulmiges Gefühl.

"In vielen Ländern schwingt das Gefühl mit, ob es überhaupt richtig ist, dass Fußballnationalmannschaften tausende Kilometer zurücklegen müssen, obwohl wir selbst doch eigentlich unser Reisevorhaben einschränken sollen."
Christiana Schallhorn, Juniorprofessorin für Sportsoziologie an der Universität Mainz

Über verpasste Chancen

Dabei hätte eine EM ohne Corona für das Ausrichtungsland und dessen Bevölkerung einen Image-Gewinn bedeuten können. "Die Bevölkerung wird dann oftmals viel freundlicher eingeschätzt und viel positiver bewertet." Ein Positiv-Beispiel dafür sei die WM 2006, die in Deutschland stattfand und die Außenwirkung der Deutschen verbessert habe.

Gleichzeitig ermöglichen es solche großen Turniere, auf gesellschaftliche Schieflagen im Ausrichtungsland zu blicken. Stichwort: WM 2022 in Katar. "Man kann hoffen, dass durch mediale Aufmerksamkeit Prozesse in einem Land angestoßen werden."

Die Entscheidung der UEFA, dass die Allianz-Arena im Spiel Deutschland gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben angestrahlt werden darf, kann Christiana Schallhorn nicht nachvollziehen. Sie glaubt, dass Rassismusdebatten und die Sexualität von Sportlern immer auch politische Hintergründe haben. "Die UEFA hätte gern, dass Sport und Politik von einander getrennt werden - nur ist das überhaupt nicht möglich." Laut der Sportsoziologin sendet der Verband mit seiner Entscheidung ein falsches Signal für den Sport, der eigentlich für "Gemeinsamkeit, Offenheit und Diversität" stehen sollte.