Forschung und Ethik"Tierversuche kommen zum Einsatz, wenn es keine Alternative gibt"

Corona-Imfpung, HIV-Therapie oder die Entwicklung von Narkosemittel haben eines gemeinsam: Tierversuche. Davon gibt es mittlerweile weniger. Ganz darauf zu verzichten, sei aber nicht möglich, sagt der Neurowissenschaftler Stefan Treue. Noch nicht jedenfalls.

Mäuse, Ratten, Fische oder auch Kaninchen und Hunde benutzt die Forschung als Versuchstiere – zum Beispiel, um neue Medikamente zu entwickeln und testen oder um Erkrankungen besser zu verstehen.

Tierversuche in Deutschland

Die Zahl der Tierversuche in Deutschland ist in den vergangenen Jahren gesunken. Im Jahr 2023, aus dem die derzeit aktuellsten Zahlen stammen, wurden insgesamt 1,46 Millionen Tiere dafür eingesetzt. Das sind fast 16 Prozent weniger als im Jahr davor, wie Zahlen des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren zeigen.

Wie noch stärker auf Tierversuche verzichtet werden kann, damit beschäftigt sich die Wissenschaft auch. Tiere für Tests zu nutzen, steht vor allem aus ethischen Gründen stark in der Kritik. Doch ganz ohne sie auszukommen, ist aktuell nicht realistisch, argumentiert Stefan Treue. Er ist der Direktor des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) und Sprecher der Informationsinitiative "Tierversuche verstehen".

Mini-Organe als Alternative?

Es gibt aber auch immer mehr andere Wege. Ein Beispiel sind Mini-Versionen von Körperorganen, sogenannte "Organ-on-Chip-Systeme". Das sind dreidimensionale Gewebemodelle, für die Gewebe aus menschlichen Stammzellen auf Kunststoffplatten miteinander verbunden werden. die werden immer besser und können immer öfter eine Alternative sein, sagt der Neurowissenschaftler und Biologe.

"Diese Systeme sind sehr viel weiterentwickelt worden in den letzten Jahren und können einzelne Tierversuche ersetzen."
Stefan Treue, Direktor Deutsches Primatenzentrum und Sprecher der Informationsinitiative "Tierversuche verstehen"

Forschende können damit etwa überprüfen, welche möglichen Nebenwirkungen ein Medikament für Menschen haben könnte. Zum Beispiel an der Uni Tübingen entwickeln Forschende diese Mini-Organe aktuell. Allerdings werden sie momentan nur als Ergänzung zu Tierversuchen betrachtet, noch nicht als Ersatz. Dafür ist das System noch nicht weit genug, so Stefan Treue.

"Eine völlige Abschaffung von Tierversuchen ist schwer vorstellbar, zumindest in absehbarer Zeit."
Stefan Treue, Direktor Deutsches Primatenzentrum und Sprecher der Informationsinitiative "Tierversuche verstehen"

Wofür die Mini-Organe aber eine Alternative sein können, sind Versuche für sogenannte regulatorische Zwecke. Das sind Tierversuche, die durch Gesetze oder Richtlinien vorgeschrieben sind. Bei dieser Vorgabe geht es darum, die Sicherheit und Wirksamkeit von Substanzen für den Menschen zu gewährleisten. Das ist etwa bei der Zulassung von einem neuen Medikament entscheidend.

Fast 17 Prozent der Tierversuche hatten zuletzt einen regulatorischen Zweck. Der Großteil der Tierversuche (58,5 Prozent) passiert in der Grundlagenforschung. Im Jahr 2023 ging es dabei besonders um Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Immun- und Nervensystem.

Tierversuche in der Grundlagenforschung

Bei der Grundlagenforschung sollen – vereinfach ausgedrückt – Antworten auf komplexe Fragen gefunden werden wie "Wie funktioniert der Körper?". Der Fokus dabei ist also nicht, beispielsweise eine konkrete Therapie für eine bestimmte Krankheit zu finden, sondern an grundlegende Erkenntnis zu kommen und etwa erst mal besser zu verstehen, wie Krankheiten im Körper ablaufen.

Gerade wenn für Grundlagenforschung Tierversuche durchgeführt werden, gibt es große Kritik. Demnach sei Grundlagenforschung nicht anwendungsorientiert. Die Motivation für Tierversuche sei dann vielmehr eine Art "wissenschaftliche Neugier". Dem widerspricht Stefan Treue: "Ohne dass wir die grundlegenden Prozesse im Körper verstehen, können wir überhaupt nicht überlegen, in welche Richtung vielleicht ein neues Medikament oder ein Impfstoff oder so etwas funktionieren könnte", sagt er.

Der 24. April ist übrigens der internationale Tag zur Abschaffung der Tierversuche.