PersönlichkeitsmerkmalIntrovertiert: Sind wir zu leise oder die anderen zu laut?
Carina ist introvertiert. Von anderen wird sie deswegen teilweise unterschätzt. Aber was bedeutet es eigentlich, introvertiert oder extrovertiert zu sein? Häufig wird das missverstanden. Zwei Expertinnen erklären, was tatsächlich dahintersteckt.
Sag doch mal was – diesen Satz hat Carina oft gehört, besonders als sie jünger war. Und sie hat sich dann gefragt: Mache ich gerade etwas falsch? "Es war immer eine Situation, in der ich eigentlich total zufrieden und mir keiner Schuld bewusst war", sagt sie. Danach ging es ihr nicht mehr so gut.
"Oft haben Leute auch zu mir gesagt, dass sie sich nicht vorstellen können, dass ich wütend werden kann. Das hat mich dann ein bisschen wütend gemacht."
Carina ist introvertiert. Sie beschreibt sich als einen Menschen, der gut zuhören kann und feinfühlig ist. Sie denkt erst mal nach, bevor sie etwas sagt. Manchmal wird sie dadurch von anderen unterschätzt. Zum Beispiel wurde ihr schon öfter nicht zugetraut, etwas vor einer Gruppe präsentieren zu können oder wütend zu werden. "Das hat mich dann auch ein bisschen wütend gemacht, weil ich gedacht habe: Natürlich habe ich alle Emotionen, die ihr auch habt", erzählt sie.
Der Druck, anders sein zu müssen
Besonders in der Schulzeit und auf der Arbeit dachte Carina früher deswegen, sie müsse lauter sein, um beliebt zu sein und dazuzugehören. Da war ein gewisser Druck, anders sein zu müssen.
"Ich glaube, dass man introvertierten Menschen oft nicht zutraut, dass sie auch anders sein können oder dass sie Spaß haben an Rollen, die performativer sind."
Unsere Gesellschaft tendiert dazu, extrovertiertes Verhalten als vorteilhafter zu beurteilen als introvertiertes. Studien zeigen zum Beispiel, dass extrovertierte Menschen bei Beförderungen bevorzugt werden, sagt Petra Kemter-Hofmann. Sie ist Professorin am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der TU Dresden. Extrovertierte Personen würden teilweise auch mehr Geld verdienen, weil sie besser verhandeln können. Sie hätten eher eine Macher-Mentalität.
Introvertiert, extrovertiert: Was das überhaupt bedeutet
Introvertierte Menschen seien hingegen gut im Beobachten, Zuhören und würden sehr genau arbeiten. Das heißt: In einer Gruppe, zum Beispiel auf der Arbeit, ergänzen sie sich ganz gut. Es braucht die Balance.
Wichtig dafür ist auch: Bei Introversion und Extraversion geht es um die Ausprägung eines Persönlichkeitsmerkmals. Das heißt: Es braucht keine Bewertung. Weder das eine noch das andere ist besser oder schlechter. Die Wissenschaft hat ein deutlich vielfältigeres Verständnis von Introversion und Extraversion.
Persönlichkeitsmerkmale brauchen keine Bewertung
Wie dieses Persönlichkeitsmerkmal bei uns ausgeprägt ist, hängt von unseren Genen und Erfahrungen ab, die wir im Leben machen, erklärt Eva Asselmann. Sie ist Psychologin, Autorin und Dozentin an der Health and Medical University (HMU) in Potsdam. "Jemand, der zum Beispiel in einer lauten, trubeligen Großfamilie aufgewachsen ist, wo immer sehr viel los war, wird es wahrscheinlich leichter fallen, wenn es um ihn herum laut oder chaotisch ist, als jemand, bei dem es zu Hause immer ganz ruhig war."
"Introvertierte können besser alleine sein. Die können sich häufig auch sehr gut über längere Strecken auf eine Sache konzentrieren und sind dann weniger abgelenkt."
Extrovertierte Menschen ziehen ihre Energie aus dem Austausch mit anderen. Sie wirken daher gesellig, kommunikativ, dominant. Introvertierte schöpfen Kraft aus Ruhe und Zeit für sich, sie werden als beobachtend, konzentriert und nachdenklich beschrieben.
Introvertiert ≠ schüchtern
Häufig wird dieses Verhalten mit Schüchternheit verwechselt. Wenn jemand schüchtern ist, bedeute das aber, dass die Person gehemmt oder ängstlich ist im Kontakt mit anderen. Dass sie zum Beispiel gerne im Mittelpunkt stehen würde, sich das aber nicht traut.
Bei Introvertierten hingegen ist es eher eine bewusste Entscheidung: beispielsweise zu Hause zu bleiben und nicht auf die Party zu gehen. Introvertierte Personen sind zwar tatsächlich häufig schüchterner, weil das miteinander korreliert, so die Psychologin – aber das muss eben nicht zwangsläufig so sein.
Der Wunsch, extrovertierter zu werden
Viele Introvertierte verspüren laut Eva Asselmann den Wunsch, extrovertierter zu werden und sich von ihrem eigentlichen Naturell abzuwenden. Davon rät sie ab. In Situationen, in denen extrovertiertes Verhalten aber belohnt wird, könne man sich vornehmen, sich anders zu verhalten als sonst.
Beispiel: Netzwerken im Job. Hier wäre es möglich, sich bei einem bestimmten Event zum Beispiel vorzunehmen, aktiv(er) auf andere zuzugehen.
In der Podcast-Folge erklären die beiden Expertinnen noch mehr, wie sich Introversion und Extraversion in unserem Alltag und auch in unseren Beziehungen zeigen. Klickt dafür oben auf den Play-Button.