Justiz klagt über SelbstanschuldigungenWenn sich Flüchtlinge als Terroristen ausgeben

Es hört sich nach einer kruden Geschichte an: Ein Afghane beschuldigt sich selbst, Terrorist zu sein. Vor Gericht kommt aber heraus: Er hat das nur erfunden, um nicht abgeschoben zu werden. Rund 70 solcher Fälle soll es im vergangenen Jahr allein in Nordrhein-Westfalen gegeben haben.

Ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Afghanistan steht in Düsseldorf vor Gericht. Er behauptet, im Juli 2014 an einem Anschlag der Taliban beteiligt gewesen zu sein. Elf afghanische Soldaten wurden damals bei einer Explosion in Kabul getötet. Doch der Prozess endet mit einem Freispruch: Der Flüchtling hat sein Geständnis im Verfahren plötzlich widerrufen - die ganze Terrornummer habe er sich nur ausgedacht, um nicht nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

"Wie sich im Prozess herausgestellt hat, stimmt die letzte Version des afghanischen Flüchtlings tatsächlich: Er war weder Mitglied der radikal-islamischen Taliban noch an einem Anschlag beteiligt."
Doro Werkmann, Deutschlandfunk Nova Nachrichtenredaktion

Falschaussagen führen zu überflüssigen Prozessen

Doro Werkmann aus unserer Nachrichtenredaktion sagt, dieser Fall steht nicht für sich allein. Laut der zuständigen Zentralstelle für Terrorismusbekämpfung habe es im vergangenen Jahr rund 70 solcher Fälle in NRW gegeben. Die ganze Thematik sei jetzt überhaupt erst bekannt geworden, weil sich die Justiz in Nordrhein-Westfalen über diese Falschaussagen von einigen Männern aus Afghanistan beklagt habe. Die Falschaussagen binden nämlich Personal. Und auch, wenn es schon zu Beginn Widersprüche gibt: Bei so einem schweren Vorwurf wie Terrorismus müsse ermittelt werden.

"Seit gut zweieinhalb Jahren gibt es wieder regelmäßig Abschiebeflüge nach Afghanistan – obwohl sich die Sicherheitslage in dem Land von Jahr zu Jahr verschlechtert."
Doro Werkmann, Deutschlandfunk Nova Nachrichtenredaktion

Der Afghane sagt, er habe den Rat, sich als Terrorist auszugeben, von Bekannten bekommen. Und tatsächlich ist es so: Wenn Flüchtlingen in ihrem Heimatland Folter oder die Todesstrafe drohen – etwa, weil sie mutmaßlich einen Terroranschlag verübt haben – dürfen sie dorthin nicht abgeschoben werden.

24 Abschiebeflüge seit 2016

Nach Afghanistan wird prinzipiell seit rund zweieinhalb Jahren wieder regelmäßig abgeschoben, berichtet Doro Werkmann: "Inzwischen sind fast 560 Männer zurück nach Afghanistan gebracht worden, in 24 Flügen." Dabei handelt es sich nicht nur um Straftäter und so genannte Gefährder, auch bereits recht gut integrierte Afghanen wurden abgeschoben.

Organisationen wie Pro Asyl protestieren regelmäßig gegen die Abschiebeflüge. Die deutsche Regierung hält diese aber für gerechtfertigt und sagt, die Sicherheitslage sei zwar unbeständig, aber in einigen Provinzen "vergleichsweise stabil".

Korrektur:
In einer älteren Version haben wir geschrieben, dass nur Straftäter und sogenannte Gefährder nach Afghanistan abgeschoben wurden. Das ist nach Medienberichten nicht korrekt: Seit Juni 2018 schiebt etwa das Bundesland Bayern aufgrund eines neuen Lageberichts des Auswärtigen Amts auch Menschen nach Afghanistan ab, die nicht straffällig geworden sind.