Alina Kierek:"Ehemalige Farc-Rebellen sehen ihre Zukunft in der Politik"

Die Hälfte der Übergangszeit für die Farc-Rebellen ist vorbei, die Entwaffnung abgeschlossen. Jetzt folgen drei Monate, in denen aus der ehemaligen Guerilla eine politische Partei geformt werden soll, berichtet die Freiwillige Alina Kierek.

Seit Januar ist Alina Kierek als Freiwillige in Kolumbien und beteiligt sich bei einem Projekt, das mithelfen soll, den Friedensvertrag zwischen dem kolumbianischen Staat und den Farc-Rebellen umzusetzen.

Leben im Übergangscamp

Dafür ist Alina in ein Übergangscamp gegangen, in dem die Farc-Rebellen untergebracht sind. Das ist eine Art Containerdorf, das vom kolumbianischen Staat organisiert und finanziert wird. Dort gibt es Gruppenküchen, Lehrräume, Schlafräume und sanitäre Anlagen, die aber nicht in allen Zonen eingerichtet worden sind.

Zum Beispiel war Alina in einem Camp im Amazonasgebiet, wo es keinen Strom, keine Wasserversorgung, keinen Zugang zu Medien, Internet oder Kommunikationsmöglichkeiten gab.

Unterricht in grundlegenden Fächern wie Mathematik, Naturwissenschaften, Politik, Spanisch für die Soldaten hat kaum stattgefunden, obwohl das so von der Regierung geplant war. Den Unterricht haben dann die Freiwilligen übernommen.

Freiwillige als neutrales Medium

Die Aufgabe der Freiwilligen war es auch, die Farc-Rebellen kennenzulernen und von ihnen der Stadtbevölkerung zu erzählen. Farc-Rebellen werden in der Gesellschaft verteufelt und gelten bei der Stadtbevölkerung als eine Art Dämon.

Die Freiwilligen sollten ihr beispielsweise nahebringen, dass die Rebellen anfangs Ideale gehabt haben, beispielsweise das Ziel, eine Landreform und mehr soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.

"Das war meine größte Sorge, dass ich als Abenteuertouristin wahrgenommen werde, die sich mal die Farc angucken möchte."
Alina Kierek, Freiwillige in Kolumbien

Die Camps sind abgeschirmt, eine äußere Sicherheitszone bildet das Militär, eine innere die Vereinten Nationen. Alina hat sich deshalb in dem Camp absolut sicher gefühlt.

Die Sicherheitszonen sind dazu eingerichtet, die Rebellen vor Angreifern zu schützen, da sie sich seit der Entwaffnung nicht mehr selbst verteidigen können. Bedroht werden sie von paramilitärischen Gruppen wie den Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), die vom Staat geduldet werden und mit denen er teilweise sogar inoffiziell kooperiert.

So hat der ehemalige kolumbianische Präsident Álvaro Uribe enge Kontakte zur AUC. Deren Demobilisierung ist vor Jahren gescheitert.

"Wir haben paramilitärische Gruppen gesichtet, und die Gefahr, von ihnen angegriffen zu werden, ist für diese Camps sehr hoch."
Alina Kierek, Freiwillige in Kolumbien

Der Vorteil für Freiwillige aus dem Ausland ist, dass sie nicht einem bestimmten politischen Lager oder einer Position angehören. "Die kolumbianische Gesellschaft ist sehr gespalten – entweder ist man komplett für den Friedensvertrag oder komplett dagegen. Es wird viel gestritten", sagt Alina. Ihr dagegen ist es möglich, eine neutrale Position einzunehmen.

Carina (links vorne) tanzt während einer Feier im Camp.

Alina hat während ihres Aufenthalts beispielsweise die ehemalige Farc-Rebellin Carina kennengelernt. Die heute 28-Jährige ist mit 17 Jahren mit ihrem älteren Bruder zu den Farc-Rebellen gegangen. Sie ist in einem Slum in Cali aufgewachsen und sehr jung Mutter geworden. Für sich sah sie keine Perspektiven.

Eine gerechtere kolumbianische Gesellschaft konnte ihrer Meinung nach nur durch einen sozialistischen Umsturz erreicht werden, erzählt Alina. Deshalb hat Carina ihre Tochter zurückgelassen und ist zu den Farc gegangen.

"Ein trauriges Detail ihrer Geschichte: Mit 19 Jahren hat sie bei einem Zusammenstoß mit dem kolumbianischen Militär ihren Bruder verloren, der ist direkt an ihrer Seite erschossen worden."
Alina Kierek hat als Freiwillige im Camp mit ehemaligen Farc-Rebellen gelebt.

Jetzt hat Carina die Möglichkeit, zu ihrer Familie und ihrer Tochter nach Cali zurückzukehren. Alina spürt aber Angst und Zurückhaltung bei Carina. Weiß ihre Tochter von ihr? "Das ist eine sehr schwierige Situation für sie, zurückzugehen und sich einzugestehen, dass sie ihr Kind im Stich gelassen hat", sagt Alina.

Dieser Embed kann leider nur direkt auf der Webseite von Deutschlandfunk Nova angezeigt werden.

Insgesamt stehen die Farc-Rebellen dem Friedensvertrag mit dem kolumbianischen Staat nicht nur positiv gegenüber, sie haben sogar das Gefühl, gewonnen zu haben.

Die Rebellen haben politische Teilhabe erhalten. Beispielsweise bekommen sie Abgeordnetenplätze im Parlament und dürfen an den Präsidentschaftswahlen 2018 teilnehmen.

In den kommenden drei Monaten soll die politische Partei in den Camps geformt werden. Danach werden sie aufgelöst. Die Ex-Guerilleros sollen dann in kleinen Gruppen in verschiedenen Gebieten in die kolumbianische Gesellschaft integriert werden. Aber genau das, sagt Alina, wird die größte Schwierigkeit werden.

"Fast alle Farc-Rebellen, mit denen ich gesprochen habe, sehen ihre Zukunft in der Partei . Die Farc wird jetzt zu einer politischen Partei abgewickelt. Sie wollen sich in der Partei engagieren und für ein gerechteres Kolumbien weiterkämpfen."
Alina Kierek, Freiwillige in Kolumbien

Zu den großen politischen Zielen der Farc gehört die Landreform, die jetzt im Zuge des Friedensvertrags umgesetzt werden soll. Das meiste Land besitzen Großgrundbesitzer.

Die sozial benachteiligten Gruppen wie die indigene Bevölkerung, afrokolumbianische Gemeinschaften und Kleinbauern, die oftmals von paramilitärischen Einheiten von ihrem Land vertrieben wurden, sollen Land zurückerhalten oder neues zugeteilt bekommen.

Militärisch verlor die Farc an Stärke

Die Truppenstärke der Farc ist in den vergangenen 15 Jahren von circa 20.000 Soldaten auf 6700 im Jahr 2014 gesunken. In den meisten Berichten heißt es, der Frauenanteil in den Farc-Truppen beträgt ein Drittel. Familienstrukturen wurden von den Kommandanten unterbunden. Wenn eine Soldatin und ein Soldat Kinder haben wollten, mussten sie den Kommandanten um Erlaubnis fragen.

Traurige Zahlen eines über 50-jährigen Konflikts

Kinder sind auf einem anderen Weg bei den Farc gelandet: Von 1999 bis 2016 hat das kolumbianische Familienwohlfahrtsinstitut rund 3600 zwangsrekrutierte Kindersoldaten bei der Farc gezählt.

Seit den 1960er Jahren kämpfen die linkgsgerichtete Farc gegen rechtsgerichtete paramilitärische Einheiten und die Armee. Seit 1964 sind dem Konflikt 260.000 Menschen zum Opfer gefallen. Die meisten sind zivile Opfer. Sieben Millionen Menschen wurden zur Flucht gezwungen.

Hintergrund zu den Friedensverhandlungen zwischen dem kolumbiansichen Staat und der Farc:

  • Kolumbien  |   Von Christiane Schwarz und Alexandra Huck bei bpb.de