GesundheitKI bewertet individuelles Risiko für Krankheiten und Lebenserwartung
Jeder Mensch ist anders und damit auch jede Krankheitsgeschichte. Wäre es so gesehen nicht von Vorteil, wenn wir eine individuelle Prognose über unseren Gesundheitszustand erhalten könnten, inklusive Präventionsmaßnahmen? Eine KI könnte genau das möglich machen.
Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, genug Schlaf: Es gibt einiges, was wir tun können, um die Chancen auf ein langes, möglichst gesundes Leben zu erhöhen. Hinzu kommen Vorsorgeuntersuchungen, die ab einem gewissen Alter empfohlen werden, weil bekannt ist, dass sich das Risiko für bestimmte Krankheiten in einem bestimmten Alter und/oder bei einem bestimmten biologischen Geschlecht erhöht.
KI könnte helfen, Patienten individuell zu betrachten
Doch dabei handelt es sich um allgemeine Maßnahmen zum Erhalt von Gesundheit sowie zur Prävention und Erkennung von Krankheiten. Was bisher fehlt, sind wirklich individuelle Einschätzungen. Wie diese erstellt werden könnten, zeigt eine nun im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie.
Ziel der Untersuchung war es, mit Hilfe der KI Delphi-2M individuelle Prognosen zu Gesundheit, Krankheit und sogar zum Tod einer Person zu erstellen. Dafür wurde die KI mit Gesundheitsdaten von 400.000 Personen gefüttert. Auf dieser Basis erstellte sie Vorhersagen für Zeiträume von bis zu zwanzig Jahren.
Zu den Angaben, mit denen die KI arbeitete, gehörten die Vorerkrankungen und der Lebensstil einer Person, aber auch der Body Mass Index, das biologische Geschlecht sowie der Alkohol- und Nikotinkonsum. Daraus wurde berechnet, welches Risiko eine Person hat, bestimmte Krankheiten zu entwickeln, und wie lange sie unter den aktuellen Umständen wahrscheinlich leben wird, erklärt Moritz Gerstung vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der die Studie geleitet hat.
"Es handelt sich nicht um konkrete Vorhersagen, sondern um Risikobewertungen. So kann die Einschätzung beispielsweise lauten: Die Wahrscheinlichkeit, im nächsten Jahr einen Herzinfarkt zu erleiden, liegt bei eins zu tausend."
Vorteil: Wir bekommen Vorsorgeuntersuchungen, die wir wirklich brauchen
Normalerweise sind Gesundheitsangaben und Risikoeinschätzungen sehr allgemein gehalten. Also beispielsweise: Alle 60-Jährigen haben Risiko X. Das Besondere an den Einschätzungen der KI ist jedoch, dass sie die individuellen Parameter einer Person berücksichtigt und dadurch deutlich persönlichere Auskünfte ermöglicht.
Und genau das könnte genutzt werden, so Moritz Gerstung. "Die individuellen Risikobewertungen könnten künftig dabei helfen zu entscheiden, welche Patient*innen welche Vorsorgeuntersuchungen erhalten sollten." Zudem wären persönliche Beratungen zum Lebensstil oder weitere präventive Maßnahmen möglich, um Krankheiten gezielt vorzubeugen.
Laut Moritz Gerstung lässt sich die Risikobewertung auf rund eintausend Erkrankungen aus dem gesamten Diagnose- und Krankheitsspektrum anwenden, darunter Herzinfarkt, Krebs, aber auch psychische Erkrankungen.
"Es zeigte sich, dass sich weit über 95 Prozent der Diagnosen, die wir eingepflegt haben, vorhersagen lassen."
Nachteil: Kosten-Nutzen-Faktor von Behandlungen könnte in den Vordergrund rücken
Noch ist völlig offen, wann eine KI wie Delphi-2M im Gesundheitssystem flächendeckend eingesetzt werden könnte. Zuvor müssten ohnehin ethische Fragen geklärt werden. Etwa, was passiert, wenn Krankenkassen Behandlungen oder Therapien ablehnen, weil sich diese laut KI-Berechnung bei einer bestimmten Person nicht mehr "lohnen".
Auch Moritz Gerstung sieht dieses Risiko. Am Ende, so der Wissenschaftler, gehe es bei jeder KI darum, sie so einzusetzen, dass sie Menschen Vorteile und Unterstützung bringen. In Bezug auf Delphi-2M setzt er auf den "regulatorischen Rahmen" unseres Gesundheitssystems: Medizinische Daten dürften demnach nicht zum Schaden Einzelner verwendet werden.