LebensveränderndWarum hinterfragen wir nach Reisen unser Leben?

Oft driften wir, wie auf Autopilot, durch unseren Alltag, ohne etwas zu hinterfragen. Medizinstudent Richie hat im Thailand-Urlaub Zeit zur Reflexion und will etwas verändern. Wie wir Impulse von Reisen in unseren Alltag mitnehmen können.

Richie ist Anfang 20 und Medizinstudent. Seine Tage sind durchgetaktet. Zeit, um innezuhalten, nachzudenken und zu reflektieren, bleibt in der Regel nicht übrig. Auch wenn er frei hat, kann er diese Zeit selten für Persönliches nutzen.

"Ich habe einen Stundenplan, Seminare und Praktika. Damit bleibt einfach sehr wenig Zeit für mich. In den Situationen, wo ich frei habe, auch freizumachen."
Richie, Medizinstudent

Als Richie in den Semsterferien seinen ersten Urlaub macht und nach Thailand reist, ist er zunächst total überfordert. Er hat ganz viel Zeit und kann frei entscheiden, was er damit machen möchte.

Aber ist es wirklich das volle Touri-Programm, das er durchziehen möchte, mit dem er eine Sehenswürdigkeit nach der anderen aufsucht und von der Liste streicht? Richie weiß intuitiv, dass er etwas Besseres mit seiner Zeit anfangen kann, als ein Standardprogramm abzuspulen.

Wie möchte ich mich fühlen und wie komme ich da hin?

Die Frage, die er sich stellt: Was möchte ich? Was essen, was ansehen, herumfahren, nichts tun? Mit einem kleinen Kniff gelingt es Richie, die Frage für sich zu beantworten. Er stellt sich vor, wie er sich fühlen möchte, wenn er im Flieger auf der Heimreise sitzt. Die nächste Frage für ihn ist, wie kann ich dieses Gefühl erzeugen, was muss ich dafür tun?

"Plötzlich war ich komplett überfordert im Kopf: Dass es nur um mich geht, nur um meine Bedürfnisse. Und worauf ich jetzt gerade Lust habe. So komplett frei."
Richie, Medizinstudent

Und je länger er in Thailand ist und Zeit hat, desto mehr hinterfragt er nicht nur, was er mit seiner Freizeit anfangen möchte. Er denkt auch darüber nach, ob sein Leben in Deutschland – mit all seinen Pflichten und Aufgaben – so ist, wie er es sich tatsächlich wünscht. Ob er die Dinge, die er tagtäglich tut, wirklich weiterverfolgen möchte.

Das eröffnet ihm neue Optionen. Er fühlt sich gedanklich frei, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und zu bewerten, Dinge in seinem Leben seinen Bedürfnissen entsprechend auch zu verändern, wenn nötig. Ist das Medizinstudium zu diesem Zeitpunkt wirklich das Richtige für ihn? Diese Frage zieht sich für Richie durch seinen gesamten Aufenthalt in Thailand.

Jetzt und hier: Entscheidungen treffen, statt durchs Leben zu driften

Bevor er lebensverändernde Entscheidungen trifft, beschließt er, nicht nur ein Standardprogramm abzuhaken. Er bucht eine 36-Stunden-Reise durchs Land, die ihn auch auf eine Insel führt. Und Richie weiß, genau: Hier möchte er in diesem Moment sein.

"Ich war dann auf einer Insel und ab da hab ich dann erst einmal begriffen: 'Okay, jetzt bist du da, wo du sein möchtest'."
Richie, Medizinstudent

Im Flieger nach Deutschland stellt sich Richie die Frage, ob er nicht länger in Thailand hätte bleiben sollen, ob er gerade in seinem Leben den richtigen Zeitplan verfolgt. Und er möchte nach dem Urlaub nicht einfach stur weitermachen wie zuvor, sondern sich bewusst für Dinge entscheiden, die er tut.

"Ich möchte irgendwann auch Arzt werden und im Krankenhaus oder in einer Praxis arbeiten. Man muss aber auch ein bisschen schauen, dass man auf der Strecke dahin nicht selbst verloren geht."
Richie, Medizinstudent

Richie möchte nicht, dass der Thailand-Urlaub wie ein Traum ist, aus dem er aufwacht und einfach weitermacht wie bisher. Dass er Arzt werden möchte, hat er nie infrage gestellt, nur das Timing. Denn nach der Schule hatte er direkt mit dem Studium angefangen.

"Ich möchte mich loslösen von diesem 0815-Lebensplan, der – bewusst oder unbewusst – immer über mir geschwebt hat und das auch noch tut"
Richie, Mediezinstuden

Der sechswöchige Thailand-Urlaub hat ihn ihm die Reiselust geweckt: Den Wunsch herumzureisen und die Welt zu entdecken. Sich dann letztendlich dagegen zu entscheiden und mit dem Studium weiterzumachen, ist Richie schwer gefallen.

Aber er hat einiges aus diesem Urlaub mitgenommen: Manchmal stellt er den Wecker etwas früher, um – wie im Urlaub – entspannter in den Tag zu starten. Der Urlaub hat sich für Richie zwar angefühkt wie das perfekte Leben, aber er hat auch für sich entschieden, dass er seinen Plan, Arzt zu werden, weiterverfolgen will. Und dass er versuchen möchte, weiterhin Urlaubsreisen zu machen – als Ausgleich und als Inspirationsquelle.

Mental er hat von seinem Thailand-Urlaub mitgenommen, dass er etwas in seinem Leben verändern kann, wenn er das möchte. Dadurch hat er ein Gefühl der Freiheit hinzugewonnen. Zwar war der Urlaub all das, was er sich wünscht, aber er hat auch für sich entschieden, dass er nicht immer Reisen möchte. Und das sein Leben vieles bietet, was er wertschätzt und zu dem er zurückkehren möchte: Einen Beruf, der ihm Erfüllung verspricht und ein gewachsenes Umfeld aus Freunden und Familie, die er nicht missen möchte.

Zufriedener durch Selbstverwirklichung

Charlotte Bellmann forscht zu den Effekten von Urlaubsreisen. Sie sagt, Reisen wirkt kurzfristig erholend und langfristig transformierend. Sie können Transformationsprozesse anstoßen, weil wir Zeit haben, in neue Kulturen eintauchen, dadurch Neues lernen und vielleicht auch herausfordernde Situationen meistern müssen. Diese können dabei helfen unsere Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

All das kann den Wunsch nach Veränderungen in unserem Leben anstoßen. Dinge, die zu unserem Wohlbefindens beitragen können, sagt Charlotte Bellmann. Dabei geht es um das Glück, das wir empfinden, wenn wir Sinn im Leben verspüren und uns selbstverwirklichen können. Das kann zu unserer Zufriedenheit beitragen.

Erst mal alles aufschreiben und liegen lassen, bevor man etwas verändert

Muriel Mertens ist Psychologin mit dem Schwerpunkt Positive Psychologie. Sie sagt, dass man Impulsen, die man im Urlaub erhält, nicht sofort folgen sollte. Sie empfiehlt, alle Ideen, die man hat, erst einmal aufzuschreiben und sich den Zettel erst nach ein paar Tagen wieder anzusehen.

Muriel Mertens sagt, dass die Emotionen im Urlaub sehr hoch sind. Man sollte sich die Liste mit den eigenen Veränderungswünschen mit etwas Abstand erneut anschauen und prüfen, ob das immer noch für einen selbst passt.

"Ich würde diese Ideen und Planungen, die für meinen Alltag kommen, vielleicht nicht direkt umsetzen, sondern einfach erst mal alle notieren."
Muriel Mertens, Psychologin

Mit kleinen Experimenten im Alltag können wir unsere Veränderungswünsche einem Reality-Check unterziehen. Wenn man im beruflichen Alltag etwas verändert oder die Wohnung umdekoriert, kann man schon einiges feststellen, ohne dass man direkt den Job oder die Wohnung wechselt.