Netzaktivist Markus BeckedahlVideoüberwachung als Placebo

Mehr Kameras bringen mehr Sicherheit? Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist da skeptisch. Ihm fehlen Untersuchungen, die diese These belegen. Statt mehr Videoüberwachung fordert er mehr Polizisten, die Streife gehen.

Nach dem Anschlag in Berlin wird der Ruf nach erweiterter Videoüberwachung wieder lauter. Für die Polizei eine wichtige Quelle, um Verdächtige ausfindig zu machen, Taten zu rekonstruieren, gegebenenfalls gefährdete Orte wie Bahnhöfe und Flughäfen zu schützen. Die Reaktionen auf diese Vorstöße sind geteilt. Die einen sagen "Ja, bitte. Hauptsache, sicher". Anderen wie Markus Beckedahl von Netzpolitik.org geht das zu weit.

Hilft mehr Personal?

Noch sei gar nicht erfasst, ob die bisherigen Kameras ausreichend Sicherheit gebracht hätten, oder ob sie nicht eher "ein Placebo zur Förderung der Sicherheitsindustrie" seien, sagt der Netzaktivist. Der schnelle Fahndungserfolg nach einem Angriff auf einen Obdachlosen in Berlin ist für ihn nicht losgelöst zu sehen.

"Hätten die Berliner Verkehrsbetriebe und andersrum auch die Polizei nicht massiv Personal eingespart, das früher Streife gegangen ist, dann wäre diese Tat vielleicht von vorneherein verhindert worden."
Markus Beckedahl, Netzpolitik.org

Mehr Kameras und weniger Polizisten - das sei eine Rechnung, die nicht aufgehe, sagt Markus Beckedahl: "Hier wurden die falschen Investitionen getroffen", meint er. Stattdessen gehe die Investition in umfassende Videoüberwachung zu Lasten der Bewegungsfreiheit des Einzelnen. Kritiker setzen dem entgegen: Etwas mehr Kameras für etwas mehr Sicherheit sei ein erträglicher Deal. Sie nehmen diese Perspektive ein: Beeinträchtigt es das Leben tatsächlich, wenn wir auf der Straße, in der U-Bahn, an der Supermarktkasse gefilmt werden?

"Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung genau gespeichert haben möchte, wohin sie gegangen ist und wen sie dabei getroffen hat."
Markus Beckedahl, Netzpolitik.org

In Großbritannien ist man hier bereits einen Schritt weiter. Die CCTV-Kameras (Closed Circuit) sind dort allgegenwärtig.

London, Hauptstadt der Videoüberwachung

"Nach Schätzungen gibt es ganz Großbritannien vier bis sechs Millionen Kameras", berichtet Stephanie Pieper, Korrespondentin im ARD-Studio London. Der größte Teil aber werde von privaten Firmen betrieben, eine Registrierungspflicht gibt es nicht. "Von daher weiß man nicht, wie viele dort wirklich hängen", so die Korrespondentin.

"In der polizeilichen Statistik sieht man, dass die Kriminalitätsrate in Großbritannien seit der Jahrtausendwende fast kontinuierlich sinkt. Also, in dem Zeitraum, indem die Videoüberwachung ausgedehnt wurde. Schwer nachweisen lässt sich aber, ob das eine mit dem anderen zu tun hat."
Stephanie Pieper, ARD-Studio London

Für Markus Beckedahl würde eine flächendeckende Überwachung, wie sie in England nach den Anschlägen 2005 durchgesetzt wurde, einhergehen mit einer Verletzung der Grundrechte, etwa wenn permanent Daten wie Autokennzeichen abgeglichen werden.

Können Kameras Verbrechen verhindern?

Beckedahls Hauptargument bleibt: Die Videoüberwachung löse nicht das Problem. "Der Anschlag am Breitscheidplatz wurde nicht verhindert, obwohl der Platz durch die umliegenden Gebäude ziemlich gut videoüberwacht ist. Der Attentäter konnte über Frankreich, ein Land, das im Ausnahmzustand ist, fliehen", argumentiert er.

"Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass diese Kameras tatsächlich mehr Sicherheit bringen - und zwar über eine gefühlte Sicherheit hinaus."
Markus Beckedahl

Im Moment kreisen die Diskussionen um Videoüberwachungen nach wie vor eher um "Das Gefühl von Sicherheit", so seine Kritik. Er fordert, Geld auszugeben, um die Effekte wissenschaftlich evaluieren zu lassen. Erst dann wäre eine echte Diskussion möglich.