Das Massaker von Srebrenica"Ich kann nicht darüber reden"

Alles, was Hasan Nuhanović von seinem Bruder geblieben ist, sind ein Paar Adidas-Turnschuhe. Gefunden wurden sie in einem Massengrab in Srebrenica. Hier starb sein Bruder.

Eine Levi's 501 und echte Adidas-Turnschuhe. Das war ein besonderes Geschenk, das Hasan seinem kleinen Bruder Muhamed im Frühling 1995 machte. Muhamed war damals 21. Er trug diese Turnschuhe nur zwei Monate. Muhamed, seine Mutter und sein Vater wurden in Srebrenica ermordet. Vor den Augen von UN-Soldaten. Mitten in den 90ern und mitten in Europa.

Erinnerungen wie Wunden

Wenn Hasan von Srebrenica erzählt, dann beginnt sein rechtes Augenlid unkontrolliert zu zucken. Es ist die Erinnerung, die seinen ganzen Körper anspannen lässt. Heute arbeitet er für die Gedenkstätte in Srebrenica. Die Erinnerung nicht los zu lassen, ist Teil seines Jobs, auch wenn es weh tut: "Ich habe schon hunderte Interviews gegeben. Es ist sehr schmerzhaft, wenn ich immer wieder gefragt werde: Was ist deiner Familie passiert? Wie hast du dich gefühlt, als du sie zum letzten Mal gesehen hast?"

"Noch sind wir hier, ich bin hier - und es ist unsere Pflicht, diese Geschichten zu erzählen"
Hasan Nuhanović

Hasan war damals 27 Jahre alt und lebte mit seiner Familie in Srebrenica. Nachdem 1993 niederländische Blauhelm-Soldaten gekommen dort stationiert wurden, bekam er einen Job als Übersetzer. Mit den Soldaten im Ort fühlte sich die Familie sicher. Als im Juli 1995 General Ratko Mladić in die Schutzzone einmarschierte, flüchteten Hasan und seine Familie auf einen benachbarten Blauhelm-Stützpunkt in Potocari. Gemeinsam mit Zehntausenden suchten sie dort Schutz. Es seien zu viele, sagten die Soldaten, die Menschen wurden fortgeschickt.

"Auf einmal kamen drei UN-Soldaten, schauten meine Familie und mich an und sagten mir: ‚Hasan, sag deiner Familie, sie müssen das Gelände jetzt verlassen.’"
Hasan Nuhanović

Hasan ahnte, dass dieser Satz, den er übersetzen soll, ein Todesurteil ist. Alle Versuche, die Soldaten zu überreden seine Familie bleiben zu lassen, werden abgeschmettert. Als Übersetzer durfte er bleiben - aber nur er allein. Als er versuchte, seinen Bruder mit nach draußen zu begleiten, sagte dieser: "Nein, du bleibst verdammt nochmal hier!’” Es ist das letzte Mal, dass er seine Familie gesehen hat. Die Serben warteten vor den Toren - Jungen und Männer nahmen sie direkt mit.

Eine Aufgabe, die er erledigen muss

Zwischen dem 13. und 17. Juli 1995 werden schätzungsweise 8.000 muslimische Jungen und Männer in der Region nördlich von Srebrenica ermordet. Für Hasan ist das nicht nur eine Zahl, sondern Teil seiner Geschichte. Er hat alles versucht, um damit umzugehen. Er hat nach seiner Familie gesucht - bis 2010 schließlich ihre Überreste gefunden wurden. Nur zu identifizieren an der DNA und an den einst geschenkten Turnschuhen. Und er hat das Königreich der Niederlande wegen des Mordes an seiner Familie verklagt - und den Prozess gewonnen.

Für Hasan sind dies alles Aufgaben, die er erledigen muss, um selbst damit umzugehen. Genauso wie die Aufgabe, immer wieder über die Ereignisse zu sprechen, damit sie nicht vergessen werden. Auch wenn es weh tut: "Es ist weder Erlösung noch Schmerz", sagt er, "es ist eine Mischung aus beidem".