Bericht zur EinkommensungleichheitUngleiche Einkommen – ungleiche Lebenschancen

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat ihren Verteilungsbericht 2019 vorgelegt und kommt zu dem Schluss: Seit 2010 ist die Ungleichheit bei den Einkommen weiter gestiegen. Das heißt für die Autoren auch: Die Chancen sind ungleicher verteilt.

Die Expertin für Verteilungsfragen beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Dorothee Spannnagel, bringt es knapp auf den Punkt, warum eine zunehmende Ungleichheit für uns zum Problem werden könnte: Je ungleicher die Einkommen verteilt sind, desto ungleicher sind die Chancen, einen durchschnittlichen Lebensstandard zu erreichen oder zu halten.

"Weil mit Einkommen auch immer Lebenschancen zusammenhängen, heißt das: Je ungleicher die Einkommen verteilt sind, desto ungleicher sind die Lebenschancen verteilt."
Dorothee Spannnagel, Expertin für Verteilungsfragen beim WSI der Hans-Böckler-Stiftung

Doch wie misst sie Ungleichheit? Dafür nutzt sie den Gini-Effekt, der nach dem italienischen Statistiker Corrado Gini benannt ist. Liegt der Gini-Koeffizient bei eins, bedeutet das, dass eine Person alle Einkommen erhält. Liegt der Gini-Koeffizient bei null, würden wir alle genau gleich viel verdienen.

Höchste Ungleichheit seit der Wiedervereinigung

Laut dem WSI-Bericht liegt in Deutschland der Gini-Koeffizient derzeit bei 0,295 für Gesamtdeutschland. Damit befindet er sich auf dem Höchststand seit der Wiedervereinigung. Die Schere zwischen niedrigen und hohen Einkommen sei weiter auseinandergegangen: Niedrige Einkommen seien weiter abgesackt; von der günstigen konjunkturellen Entwicklung profitieren die hohen Einkommensgruppen. In dieser Ungleichheit sehen die Sozioökonomen eine Belastung für die Demokratie.

Ungleichheit gefährdet Demokratie

Untere Einkommensschichten fühlten sich nicht mehr repräsentiert, abgehängt, von der Politik vergessen. Das würden Studien zeigen, erklärt Dorothee Spannnagel. Sie berichtet aber auch über die Entwicklung in Brasilien, wo sich Reiche aus der Gesellschaft verabschiedeten.

Für Politikerinnen sollte das ein Signal sein, Ungleichheiten auszugleichen und beispielsweise eine Vermögens-, Erbschaftssteuer und den Spitzensteuersatz anzuheben, gleichzeitig Steuerflucht und –hinterziehung zu bekämpfen.

Warnung vor Neiddebatte

Der Reichtumsforscher Rainer Zitelmann hat einen anderen Blick auf die Zahlen: Es sei ein Problem, wenn den Reichen ihr Einkommen geneidet werde. Das sei Angestelltendenken, dass das Gehalt im Verhältnis zur Leistung stehen müsse. Manager und Spitzensportler seien so eine Art knappe Güter und würden deshalb anders entlohnt. Die Ungleichheit, die derzeit steige, sei eine Folge von armen Migranten.

Dem widerspricht Dorothee Spannnagel: Selbst wenn die Migranten herausgerechnet werden, würde der Gini-Koeffizient und Einkommensungleichheit steigen.

Auf der politischen Ebene gibt es Parteien und Menschen, die sich eher links orientieren und in Bezug auf die Ungleichheit Veränderungen fordern. Doch eine große politische Reaktion auf diese Entwicklung ist bislang ausgeblieben.