SPD im AbwärtstrendWer braucht noch die Sozialdemokraten?
Nordrhein-Westfalen war lange eine SPD-Hochburg. Doch bei den Kommunalwahlen 2025 sind die Sozialdemokraten auf ein neues Rekordtief gefallen. So geht das seit Jahren. Kann sich die Partei noch fangen?
Die Kommunalwahl in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, gilt als gutes politisches Stimmungsbarometer. In manchen Städten, Gemeinden oder Kreisen hat die SPD sehr gut abgeschnitten – in anderen dafür unterirdisch schlecht.
Im Schnitt holte die Partei gut 22 Prozent der Stimmen und hat damit nur etwas mehr als zwei Prozentpunkte verloren. Trotzdem ist Ergebnis für die SPD das nächste historisch schlechteste nach der letzten Bundestagswahl.
Das macht auch was mit Luis Zilm. Er ist Vorsitzender der Ruhrjusos und wurde ins Ruhrparlament gewählt. Seine Freude wird getrübt vom Gesamtergebnis der Partei in dem Bundesland, das eigentlich als SPD-Hochburg gilt.
SPD-Nachwuchs: Sorge um Finanzen und Motivation
Luis Zilm blickt mit Sorge auf das Wahlergebnis. Schlechte Resultate könnten die Partei finanziell stark belasten und langjährig engagierte Ehrenamtliche demotivieren. Gerade sie seien wichtige Brücken zur Zivilgesellschaft – ihr Wegfall würde die SPD vor Ort zusätzlich schwächen.
"Wir müssen schauen, dass die SPD sich vor Ort noch halten kann mit Blick auf die Finanzierung und auch mit Blick auf die Moral."
Die SPD müsse aus der Niederlage Konsequenzen ziehen und ihre Arbeit in den Räten verbessern. Entscheidend sei, Ortsvereine finanziell und moralisch zu stabilisieren, um das ehrenamtliche Engagement nicht weiter einbrechen zu lassen.
Echter Politikwechsel oft kaum möglich
Der Abwärtstrend in ihrem Stamm- und Kernland ist für die SPD besonders dramatisch, sagt Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Das historisch schlechteste Ergebnis in NRW müsse die Partei zum Nachdenken anregen.
SPD-Chefin Bärbel Bas hatte nach der Wahl betont, ein Desaster sei verhindert worden. Enttäuschte Wählerinnen und Wähler hätten sich hier aber vielleicht klarere Worte gewünscht, meint der Politikwissenschaftler. Doch oft fehle die Möglichkeit, politische Kurswechsel tatsächlich umzusetzen. Parteien seien in Koalitionen und Verhandlungen eingebunden – große Veränderungen ließen sich daher selten sofort realisieren, was wiederum zu Frust führen könne.
"Die AfD wäre noch erfolgreicher gewesen, wenn sie überall angetreten wäre, was sie nicht getan hat."
Die AfD hatte ihr Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl im Vergleich zur vergangenen verdoppelt und kam im Bund auf 20,8 Prozent. In NRW konnte sie nun bei den Kommunalwahlen ihr Ergebnis sogar verdreifachen und ist in drei Stichwahlen um Oberbürgermeisterposten vertreten. Laut Stefan Marschall wäre die Partei noch stärker, wenn sie überall angetreten wäre – das aktuelle Ergebnis sei daher sogar unterschätzt.
Die Zugewinne der AfD erschweren die Arbeit in den Kommunen, sagt der Politikwissenschaftler. Neue Koalitionen und Bündnisse würden komplizierter, da die Partei in den Räten gezielt Anträge stelle, Streit provoziere und unerfüllbare Forderungen einbringen könne. Das mache politische Gestaltung und Kurswechsel vor Ort deutlich schwieriger.
Ruhr-SPD: zurück zu den Wurzeln
Diese Sorgen hat auch Luis Zilm: "Das ist gerade für mich auch irgendwie eine sehr besorgniserregende Entwicklung", sagt er. In den Kommunalparlamenten sei durch die AfD der Ton und Umgang in den vergangenen Jahren rauer geworden und Kompromisse schwerer zu erreichen.
"Die SPD muss zu den Menschen zurückkommen und wieder die Partei der Nachbarschaft werden."
Zilm betont, die SPD müsse sich vom Anspruch einer unangefochtenen Hochburg verabschieden. Statt auf alte Vormachtstellung zu setzen, gelte es, wieder näher an die Menschen heranzurücken, Präsenz zu zeigen und zur "Partei der Nachbarschaft" zu werden.
Sicherheit mit Plan statt nur Law-and-Order
Die AfD punktet mit Themen wie Migration, Sicherheit und wirtschaftlicher Unsicherheit. Luis Zilm betont, dass diese Fragen zwar bundespolitisch geprägt seien, aber auch die Kommunen direkt beträfen. Die SPD müsse deshalb aufhören, sie als nicht kommunal abzutun, und offensiver Lösungen präsentieren.
"Nicht alle Menschen im Ruhrgebiet wollen eine Law-and-Order-Politik von rechts und auf dieses Narrativ einsteigen."
Im Wahlkampf habe sich aber gezeigt, dass nicht alle Menschen im Ruhrgebiet eine reine Law-and-Order-Politik wollen. Vielmehr erwarteten sie von der SPD konkrete Pläne, wie Sicherheit und Prävention auch anders funktionieren kann.
SPD verliert Nähe zu den Menschen
Luis Zilm kritisiert, dass die SPD sich lange auf ihrem Kümmerer-Image ausgeruht habe. In vielen Strukturen sei der direkte Draht zu den Bürgern verloren gegangen, besonders auf kommunaler Ebene. Dadurch sei die Flucht nach vorne zu spät passiert.
Die AfD habe die entstandene Lücke genutzt, um den Menschen zu sagen: Wir nehmen eure Sorgen ernst. Der Abstand zwischen der SPD und den Bürgern sei so deutlich größer geworden.
Politik in einer sich verändernden Welt
Den Erfolg der AfD erklärt der Politikwissenschaftler Stefan Marschall damit, dass die Partei es verstanden habe, Unmut und Unzufriedenheit zu bündeln – besonders in Regionen, in denen Menschen sich abgehängt fühlten. Strukturwandel-Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und fehlender politischer Wahrnehmung bildeten ihr Kernwahlgebiet.
Den Grund für den Abwärtstrend der SPD vermutet der Politikwissenschaftler auch in der Tatsache, dass sich die Welt und die gesellschaftlichen Milieus stark verändert haben, was alte Parteibindungen auflöse und neue Anforderungen an alle Parteien stelle.
Gleichzeitig seien die politischen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt: Jede Partei müsse zunächst beobachten, wie sich die Lebenswelten der Menschen verändern, und prüfen, wie sie darauf reagieren könne – wenn dies überhaupt möglich ist.
Authentische Vertreter*innen überzeugen
Stefan Marschall betont, dass für den Erfolg der SPD die richtige Kombination aus Personen und Themen entscheidend sei. Authentische Vertreter, die die Anliegen der Menschen ansprechen, könnten durchaus Erfolge erzielen – wie etwa Anke Rehlinger im Saarland oder ein beliebter SPD-Bürgermeister in Duisburg zeige.
"Der Anspruch, für alle Menschen Politik zu machen, breit anzusetzen, kann am Ende dazu führen, dass man von der Programmatik her ein wenig diffus ist."
Traditionell sei die SPD immer eine sehr heterogene Partei mit vielen Strömungen und Flügeln. Zwar strebe sie an, Politik für alle zu machen, doch dieser breite Ansatz könne dazu führen, dass ihre Programmatik diffus wirkt und stärker von einzelnen Personen abhängt.
Louis Zilm betont, dass die SPD, dort wo sie Erfolge erzielte, sich vor Ort stark engagiert habe: Hausbesuche, Stände in den Quartieren und intensive Präsenz in den Bezirken seien das Erfolgsrezept gewesen.
"Die SPD ist im Kern immer noch das , was sie in ihrer Geschichte schon immer war: das Bollwerk gegen Rechts."
Die SPD müsse in den kommenden zwei Jahren zeigen, ob sie die Probleme der Menschen wirksam ansprechen und Lösungen präsentieren kann. Das geplante neue Grundsatzprogramm könnte dabei helfen. Die Partei bleibe im Kern ein Bollwerk gegen Rechts und setze weiterhin auf soziale Themen, die dauerhaft im Fokus bleiben.
Politikwissenschaftler Stefan Marschall betont, dass die SPD sich nicht gänzlich neu erfinden könne, sondern weiterhin Arbeiterpartei bleibe – das liege in ihrer DNA. Wichtig sei jedoch, diesen Anspruch neu zu definieren und die Positionierung in einer sich wandelnden Welt anzupassen.