Tempo 30 in InnenstädtenKommunen wollen flexibler und autonomer entscheiden

Über 400 Städte und Gemeinde wollen häufiger Tempo 30 in ihren Innenstädten und, dass sie selbst über die Geschwindigkeitsdrosselung bestimmen dürfen. Das Bundesverkehrsministerium lehnt das ab. Für Tempo 30 sprechen weniger Unfälle und weniger Lärm – meist auch der Umweltschutz.

Im deutschen Verkehrsrecht ist Tempo 50 "innerorts" der Standard, so unser Reporter Niklas Potthoff. Eine Abweichung gilt als Verkehrsbeschränkung und muss begründet sein. Zum Beispiel, weil es an einer Straße eine Schule oder ein Altenheim gibt.

Es geht dann um Regelungen für bestimmte Abschnitte. Aber auch dafür sind die Hürden relativ hoch, denn 50 Stundenkilometer sind die sogenannte Regelgeschwindigkeit.

Mehr Flexibilität bei Tempo 30

Rund 400 Städte und Kommunen wollen das ändern. Im Juli 2021 gründete sich die Initiative Lebenswerte Städte und Gemeinden. Sie fordert mehr Mitsprache: Die Kommunen sollen flexibler entscheiden dürfen, wann und wo welche Geschwindigkeiten angeordnet werden. Aktuell seien die Vorgaben zu eng, um ortsbezogen handeln zu können. An der Initiative beteiligen sich Großstädte wie Berlin und Köln, Städte wie Hannover und Ludwigshafen sowie kleinere Orte wie Wangen im Allgäu oder Oberursel.

Auch der Deutsche Städtetag fordert, dass die Kommunen künftig in eigener Verantwortung ein stadtweites Tempo 30 einführen können. Diese Sicht teilt auch Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund. Das Bundesverkehrsministerium müsse das Verkehrsrecht entsprechend anpassen, sagte er im Deutschlandfunk. Entscheidungen sollten auf kommunaler Ebene möglich sein.

"Das heißt flexible Lösungen und kommunale Entscheidungsmöglichkeiten erweitern: Das wäre der richtige Ansatz."
Gerd Landsberg, Städte- und Gemeindebund im Gespräch mit dem Deutschlandfunk

Doch aus Berlin kommt Ablehnung. Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP wiegelt ab. Dabei gibt es verschiedene Gründe, die für Tempo 30 in Städten und Gemeinden sprechen:

  • So soll die Verkehrssicherheit durch Tempo 30 erhöht werden, sagt Niklas Potthoff. In Brüssel zum Beispiel gilt seit 2021 Tempo 30 in der ganzen Stadt. Das Ergebnis nach einem Jahr: Es gab weniger Unfälle und die Zahl der Verkehrstoten sank im ersten Jahr um die Hälfte.
  • Das Drosseln der Geschwindigkeit sorgt für weniger Lärm. Eine Untersuchung vom Umweltbundesamt (hier als PDF abrufbar) zeigt, dass sich der Lärm bei Tempo 30 – im Vergleich zu Tempo 50 – um zwei bis drei Dezibel vermindert, je nachdem wie hoch der Anteil der Lkw am Verkehr ist. "Gefühlt ist der Lärm sogar um ein Drittel leiser als bei Tempo 50", sagt unser Reporter. "Das hat was damit zu tun, wie wir Geräusche wahrnehmen." Das Umweltbundesamt spricht von enormen Lärmentlastungen besonders an Hauptverkehrsstraßen.
  • Der dritte Punkt betrifft die Umwelt und wird kontroverser diskutiert.

Beim Thema Klima- und letztlich auch Gesundheitsschutz sind die Vorteile von Tempo 30 nicht so eindeutig. "Eine Studie in Stuttgart hat gezeigt: Wenn der Verkehr flüssiger wird – und vor allem Straßen mit Steigungen betroffen sind, dann hat das echt einen positiven Effekt auf die Schadstoffemissionen", sagt Niklas Potthoff. In Baden-Württemberg wurden dafür 2012 13 Städte untersucht: Tempo 30 entwickelt positive Effekte, wenn es ohnehin eher zäh vorangeht und wenn es, wie eben im Beispiel Stuttgart, bergauf und bergab geht.

Für Tempo 30 in Innenstädten spricht mehr Sicherheit und weniger Lärm. Auch Luftschadstoffe gehen zurück, nicht immer die CO2-Emissionen.

"Aber in flachen Städten, wo dauernd Stau ist, bringt das eventuell wenig bis gar nichts, zumindest was CO2-Emissionen angeht", sagt Niklas Potthoff. Tempo 30 könnte die Emissionen unter Umständen sogar erhöhen, weil Fahrten länger dauern und sich die CO2-Emissionen zwischen 30 und 50 Stundenkilometer kaum unterscheiden. Laut Umweltbundesamt können aber Luftschadstoffe wie Stickoxide und Feinstaub durch Tempo 30 leicht zurückgehen.

Die verschiedenen Gründe führen die Kommunen an, wenn sie auf mehr Flexibilität pochen. Wie weit die Autonomie in den Rathäusern gehen soll, darüber gegen die Meinungen aber auseinander. Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund zum Beispiel will nicht generell von Tempo 50 auf Tempo 30 wechseln.

"Der Verkehr muss fließen. Wenn er stockt, gibt es auch mehr Umweltbelastung. Deshalb müssen Hauptverkehrsstraßen, wenn die Sicherheit es zulässt, weiter bei 50 bleiben."
Gerd Landsberg, Städte- und Gemeindebund im Gespräch mit dem Deutschlandfunk

In der Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden" gibt es auch andere Stimmen. "Einige wollen das Verkehrsrecht quasi umdrehen", sagt Niklas Potthoff. "Dass generell Tempo 30 gilt – und man Tempo 50 begründen muss."

FDP und Grüne werden darum streiten

Der Streit um Tempo 30 wird anhalten, auch wenn das Bundesverkehrsministerium erst einmal abwimmelt. Denn im Koalitionsvertrag steht, dass man Städten und Kommunen die Entscheidung über derartige Tempolimits ermöglichen will.

Laut eines Sprechers des Bundesverkehrsministeriums sei Volker Wissing offen für Vorschläge, lehne aber ein generelles Tempolimit von 30 Stundenkilometern innerorts weiterhin ab. Auf Haupt- und Durchgangsstraßen könnte der Verkehr sonst nicht mehr flüssig fließen, so die Befürchtung. Ricarda Lang, Grünen-Parteichefin, plädierte hingegen für mehr Rechte für die Kommunen. Die Auseinandersetzung wird also anhalten.

Paris und Brüssel machen es vor – und Spanien ebenso

In anderen europäischen Städten ist man schon einen Schritt weiter. Neben Brüssel gilt auch in Paris seit 2021 Tempo 30 – zumindest für die meisten Straßen. In Brüssel führte die Drosselung der Geschwindigkeit nicht allein zu mehr Sicherheit, sondern auch zu weniger Lärmbelästigung. "Dabei hätten die Fahrten, etwa zur Arbeit, im Durchschnitt nicht einmal länger gedauert", so Niklas Potthoff.

Spanien ging sogar noch weiter. Seit Mai 2021 gilt in allen Städten Tempo 30 – allerdings nicht für alle Straßen. "Zumindest bei Fahrstraßen mit nur einer Fahrspur pro Richtung", sagt unser Reporter. "Das sind 80 Prozent der städtischen Straßen im Land."