TextilrecyclingNeue EU-Regeln für alte Kleidung sorgen für Chaos

Die kaputten Sneakers, die löchrigen Boxershorts oder die zerrissenen Jeans – sie gehören seit kurzem nicht mehr in den Hausmüll. Aber auch nicht in den Altkleidercontainer, sagen zumindest soziale Träger. Warum sie damit aufrufen, EU-Recht zu brechen.

Seit Anfang des Jahres gilt in der EU: Alte Kleidung muss getrennt gesammelt werden. Auch kaputte oder verschlissene Textilien sollen nicht mehr im Restmüll landen, sondern in spezielle Sammelstellen. Doch was auf dem Papier nachhaltig klingt, sorgt in der Praxis für Kopfschütteln.

"Die Getrenntsammlungspflicht geht davon aus, dass es in Deutschland große Recyclinganlagen gibt, doch diese Recyclingstrukturen sind schlicht nicht vorhanden."
Annett Kaplow, Leiterin des Textilhafens der Berliner Stadtmission

Annett Kaplow leitet den Textilhafen der Berliner Stadtmission. Sie sagt, in Deutschland existiert die Infrastruktur, die für das Recycling alter Kleidung notwendig wäre, in diesem Umfang gar nicht.

Kaplow und ihr Team sortieren jede Woche rund acht Tonnen Alttextilien. Was noch tragbar ist, landet in Kleiderkammern oder sozialen Läden. Der Rest geht an Verwerter – doch genau da wird es problematisch: Die Märkte für Second-Hand-Ware sind überfüllt, besonders in Ost-Europa oder Afrika. Inzwischen kaufen viele Menschen dort lieber ultra-billige Fast Fashion aus Asien, etwa von Shein oder Temu.

Deshalb müssen soziale Einrichtungen inzwischen manchmal sogar draufzahlen, wenn sie überschüssige Spenden loswerden wollen. Kaplow zufolge sei das System an seine Grenzen geraten – sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich.

Recycling? Ja, aber…

Komplett abgetragene Kleidung lässt sich oft nicht einmal mehr weiterverkaufen. Ein Teil davon wird immerhin zu Putzlappen oder Dämmstoffen verarbeitet – doch auch das hat Grenzen. Der große Traum vom echten Faser-zu-Faser-Recycling, bei dem aus alten Shorts neue Hemden entstehen, ist bisher nur in Ausnahmefällen Realität.

Ein Beispiel: Das bayerische Start-up TURNS verarbeitet gebrauchte Arbeitskleidung. Gründerin Angelique Thummerer erklärt, der Sortierprozess sei sehr aufwendig. Einheitliche Stoffe – etwa bei Blaumännern – seien da deutlich einfacher zu recyceln.

"Die Containerware ist oft nass, schmutzig und mit anderen Materialien vermischt. Das kontaminiert die Textilien."
Angelique Thummerer vom bayerische Start-up TURNS

Sortierung ist also entscheidend. In Augsburg arbeiten Forschende an einer technischen Lösung: Mit Hilfe von Infrarotkameras und KI soll eine automatische Sortierung möglich werden.

"Manuell zu sortieren, ist bei uns weder bezahlbar noch personell machbar."
Stefan Schlichter von der Technischen Hochschule Augsburg

Stefan Schlichter von der Technischen Hochschule Augsburg sagt, eine sensorbasierte Erkennung könne gezielt nach bestimmten Merkmalen sortieren – das sei der nächste wichtige Schritt.

Ein System mit Haken

Doch trotz aller Innovationen bleibt das Grundproblem bestehen: Nicht alle Materialien lassen sich recyceln – zumindest nicht mechanisch. Chemische Verfahren stecken noch in den Kinderschuhen. Deshalb denken Forschende inzwischen auch das Produktdesign neu: Kleidung soll so entworfen werden, dass sie sich am Ende ihres Lebens einfacher wiederverwerten lässt.

Ein Hoffnungsschimmer könnte die geplante erweiterte Herstellerverantwortung sein. Die Idee: Ähnlich dem Grünen Punkt bei Verpackungen sollen auch Textilunternehmen künftig Geld für das Recycling ihrer Produkte zahlen. Das könnte den Wandel beschleunigen.

Trotzdem bleibt es ein Kampf gegen die Überproduktion: Solange der Markt mit Wegwerf-Mode überschwemmt wird, helfen selbst die besten Recyclingtechniken nur bedingt. Nachhaltigkeit fängt eben nicht erst im Altkleidercontainer an – sondern im Kleiderschrank.