Vier Jahre danachAhrtal-Flut: Wie gut ist Deutschland heute vorbereitet?
Mitten in der Nacht wird die Ahr zum reißenden Strom. Häuser brechen weg, 130 Menschen sterben. Solche Extremwetter nehmen zu. Vier Jahre später fragen wir: Was hat sich verändert? Und wie gut wäre Deutschland heute auf die nächste Flut vorbereitet?
Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 war eine Zäsur. Seit Tagen hatte es geregnet – doch was dann aus dem eigentlich unscheinbaren Bach wurde, war erschreckend: Wasser staute sich hinter Brücken, riss Wohnwagen und Bäume mit sich und schwappte in riesigen Wellen über die Ufer. Viele Menschen konnten sich nicht mehr retten.
"Ab Mitternacht begann das dann mit den Sirenen. Dann kamen Menschen den Berg hochgelaufen. Sie trugen Koffer, die haben sich gerettet, weil ihre Häuser da schon unter Wasser standen."
Journalist Marius Reichert, selbst in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu Hause, beschreibt die Region heute als "riesige Baustelle", die größte zusammenhängende in Europa. Brücken werden fertig, die Bahn soll bis Ende des Jahres wieder fahren.
Der Wiederaufbau – ein "Generationen-Projekt"?
Doch der Wiederaufbau ist ein Langzeitprojekt, das als "Zehn-Jahres-Projekt", vielleicht sogar "Generationen-Projekt" bezeichnet wird. Hinter der Landesgrenze in Nordrhein-Westfalen sind Straßen und Schienen fast fertig, dort geht es bereits um den künftigen Hochwasserschutz.
"Wir brauchen eigentlich Katastrophenparagrafen, die dann bestimmte Vereinfachungen in Kraft setzen, wenn so eine Region einen solchen Aufbau zu stemmen hat."
Im Ahrtal hingegen stehen immer noch schlammverschmierte Häuser. Die Bürokratie bremst. Cornelia Weigand, Landrätin des Kreises Ahrweiler, fordert deshalb "Katastrophenparagrafen", um Vereinfachungen für den Wiederaufbau zu ermöglichen.
Positive Signale und Rückschläge
Sind die Menschen im Ahrtal heute besser geschützt? Marius Reichert ist sich sicher: ja. Neue Sirenen und Warn-Apps wie Katwarn sensibilisieren die Bewohner*innen. Die Hoffnung ist, dass – auch wenn es jederzeit wieder eine Flut geben kann – nicht mehr so viele Menschen sterben müssten. Das liege auch daran, dass Häuser im Erdgeschoss anders aufgebaut werden, etwa mit Garagen statt Wohnzimmern.
Doch es gibt auch Rückschläge: Versicherungen und staatliche Unterstützung aus dem Wiederaufbaufonds zahlen oft nur für den Wiederaufbau am ursprünglichen Grundstück. Das bedeutet: Viele Menschen müssen wieder am Fluss leben, obwohl sie es aus nachvollziehbaren Gründen gar nicht mehr wollen. Nur acht Häuser im Ahrtal durften an der alten Stelle nicht wieder aufgebaut werden, weil es dort zu gefährlich war.
"Schulen und auch manche Kitas werden an derselben Stelle aufgebaut. Das finde ich skandalös. Das sind ganz besonders vulnerable Gruppen, die müsste man besser schützen."
Der Wiederaufbau an der gleichen Stelle, das angebliche "Nonplusultra", stößt auf Kritik. Marius Reichert findet es "skandalös", dass auch Schulen und Kitas für besonders vulnerable Gruppen nicht weiter weg wieder aufgebaut werden.
Zudem führe die Langsamkeit der Bürokratie dazu, dass die Menschen Vertrauen in Politik und Verwaltung verlieren. Das hätte sich auch bei der vergangenen Bundestagswahl gezeigt, wo sehr viele Stimmen in Richtung von Parteien gegangen sind, die sich nicht in der demokratischen Mitte befinden, erklärt Reichert.
Zwischen Angst und Resilienz
Die psychischen Folgen der Katastrophe sind immens. Bei jedem Gewitter klingeln die Telefone der Psycholog*innen. Rund 20 Prozent aller Flutbetroffenen im Ahrtal leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Burnout oder Depressionen.
"Da haben wir jetzt nochmal angesetzt, dass wir versuchen, Resilienzen zu stärken, dass wir Auszeiten anbieten, Achtsamkeitskurse."
Bürgermeister*innen, Anwohner*innen und Helferinnen wünschen sich mehr Hochwasserschutz. Es geht um konkrete Maßnahmen wie klappbare Geländer an Brücken oder Hubbrücken, die mehr Wasser durchlassen könnten. Doch Ausweichflächen für die Ahr sind knapp bemessen.
Ein zentraler Punkt sind die geplanten Regenrückhaltebecken.
"17 Becken würden uns ermöglichen, auch die Wassermassen von 2021 beherrschen zu können. Und jetzt kämpfen wir für die Finanzierung."
Landrätin Cornelia Weigand bestätigt, dass die Planungen für 17 Regenrückhaltebecken abgeschlossen sind. Diese könnten demnach Wassermassen wie die von 2021 beherrschen. Allerdings gehen Expert*innen davon aus, dass die Umsetzung Jahrzehnte dauern wird – wenn sie denn überhaupt in diesem Maße realisiert werden kann. Auch wegen der zu leistenden Entschädigungen für Landwirt*innen.
Was fehlt und was Hoffnung macht
Thomas Roggenkamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geografischen Institut der Uni Bonn, beleuchtet die Gefahren kleiner Flüsse.
"Wenn wir an der Ahr unterwegs sind, dann haben wir dort normalerweise wenige Kubikmeter Wasser pro Sekunde, die dort langfließen. 2021 ging das auf über 1000 hoch."
Während der Rhein bei Hochwasser das Fünffache seines normalen Abflusses erreicht, verhundertfünfzigfachte sich der Abfluss der Ahr im Jahr 2021. Dieses Missverhältnis – der Trugschluss, kleine Bäche seien harmlos – ist das Gefährliche.
Bessere Warnsysteme, aber zu wenige konkrete Maßnahmenpläne
Was Frühwarnsysteme angeht, hat sich einiges getan: Cell Broadcasting, Warn-Apps und Sirenen sind bundesweit besser aufgestellt als 2021, sagt Thomas Roggenkamp. Was jedoch häufig fehle, seien konkrete Maßnahmenpläne, die spezifisch für jeden Ort und jedes Flusssystem ausgearbeitet sind. Ganz besonders in Regionen ohne frühere Hochwassererfahrung.
Roggenkamp fordert, dass Deutschland vom Hochwasserschutz in den Niederlanden lernt, wo Expert*innen die Maßnahmen entscheiden und feste Haushaltsmittel dafür bereitstehen. Unabhängig von politischen Vermittelbarkeiten.
Im Ahrtal selbst gibt es zwar mehr Pegel im Ahr-System, und auch kleinere Bachläufe rücken in den Fokus. Was konkrete Schutzanlagen angeht, spiele sich das aber meiste im Privaten ab, so Roggenkamp. Der "große Wurf" bei umfassenden, öffentlichen Schutzmaßnahmen fehle noch. Und die großen Projekte wie eben die leistungsstarken Regenrückhaltebecken, werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.
Gefahr: "Hochwasserdemenz"
Marius Reichert und Thomas Roggenkamp machen sich Sorgen, dass die Gefahr mit der Zeit in Vergessenheit geraten könnte – ähnlich einer "Hochwasserdemenz", die nach den historischen Fluten von 1804 und 1910 eintrat.
Um das zu verhindern, braucht es auch Maßnahmen wie Flutmuseen und Erinnerungsstätten. Roggenkamp schlägt sogar vor, "Flutalarm" in Schulen zu üben, ähnlich dem Feueralarm, um das Bewusstsein für die Gefahr zu schärfen.