Zweiter AnlaufDrei neue Richter fürs Bundesverfassungsgericht

Nach dem Debakel um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf versucht sich der Bundestag an einem zweiten Anlauf für die Wahl von drei neuen Bundesverfassungsrichtern. Union und SPD gehen dieses Mal mit ihren Vorschlägen anscheinend auf Nummer sicher.

Die Wahl von Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht gilt als eine der wichtigsten Abstimmungen im Bundestag – und als eine, die besonders glatt verlaufen sollte. Doch im Juli 2025 kam es zum Eklat: Die SPD nominierte Frauke Brosius-Gersdorf, doch die Union verweigerte ihre Zustimmung. Die Wahl platzte. Nun gibt es einen zweiten Anlauf, mit neuer Kandidatin: Sigrid Emmenegger. Sie soll die Fehler der Vergangenheit verhindern.

Wer ist Sigrid Emmenegger?

Deutschlandfunk-Nova-Reporter Justus Wolters beschreibt Emmenegger als erfahren, aber bislang unauffällig.

"Sie ist seit 2021 Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, 48 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern – und in der Öffentlichkeit bisher kaum aufgefallen."
Justus Wolters, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Die SPD habe mit Emmenegger bewusst eine Kandidatin vorgeschlagen, die sich bisher nicht kontrovers geäußert habe. Sie erscheine wie eine "sichere Bank" – und auch die Union habe bislang keinen Widerstand erkennen lassen.

Ihre juristische Karriere sei beeindruckend: Studium in Freiburg und Uppsala, Promotion unter Ex-Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, Stationen an mehreren Verwaltungsgerichten, wissenschaftliche Mitarbeit am Bundesverfassungsgericht. Sigrid Emmenegger kennt das Gericht also schon von innen, sagt Justus Wolters.

"Sie hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht gearbeitet. Sie kennt den Laden also jetzt auch schon von innen."
Justus Wolters, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Auch aus der Opposition sei bisher kaum Kritik zu hören. Unser Reporter verweist auf positive Töne von Grünen und AfD gleichermaßen – ungewöhnlich in diesen Zeiten. Damit stehe die Wahl diesmal unter anderen Vorzeichen als im Juli.

Warum die Wahl so entscheidend ist

Gudula Geuther aus dem Hauptstadtstudio in Berlin ordnet ein, warum es auf diese Abstimmung so sehr ankommt.

"Das Bundesverfassungsgericht entscheidet darüber, wie Grundrechte auszulegen sind, was Meinungsfreiheit heißt oder welche Rechte die Opposition im Bundestag hat."
Gudula Geuther, Hauptstadtstudio Berlin

Damit verweist sie darauf, dass das Gericht nicht nur abstrakte Rechtsfragen klärt, sondern unmittelbare Wirkung auf Politik und Gesellschaft hat. Gerade deshalb sei es wichtig, dass die Wahl reibungslos verläuft und die Richterinnen und Richter unabhängig bleiben.

Mit Blick auf den aktuellen Wahlgang zeigt sich Geuther optimistisch. Sie ist überzeugt, dass diesmal die Koalition halten wird.

"Ich glaube, diesmal wird die Koalition stehen. Entscheidend wird sein, ob Grüne und Linke in ausreichender Zahl zustimmen – bisher sieht es eher so aus."
Gudula Geuther, Hauptstadtstudio Berlin

Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass die Zweidrittelmehrheit eine Hürde bleibt und nur mit Stimmen von Grünen oder Teilen der Linken erreicht werden kann.

Das Dilemma der Unabhängigkeit

Ein weiterer Punkt, den unsere Hauptstadtstudio-Korrespondentin betont, ist das Spannungsverhältnis zwischen politischer Legitimation und richterlicher Unabhängigkeit.

"Man braucht einerseits die Rückbindung an den Wählerwillen, andererseits ein Verfahren, das Unabhängigkeit gewährleistet. Das versucht man mit der breiten Mehrheit und der langen Amtszeit zu verbinden."
Gudula Geuther, Hauptstadtstudio Berlin

Gudula Geuther erläutert, dass Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht zwölf Jahre im Amt sind, ohne Möglichkeit zur Wiederwahl – ein wichtiger Schutz vor politischem Druck. Zugleich müsse das Parlament hinter der Wahl stehen, um die demokratische Legitimation zu sichern.

Auch zur Rolle der AfD nimmt Geuther Stellung. Demokratisch betrachtet sei es sinnvoll, neue Parteien einzubinden, sagt sie. Zugleich warnt sie vor der Gefahr, dass destruktives Verhalten die Arbeit des Gerichts blockieren könnte.

Blick auf das Verfahren

Geuther verweist darauf, dass es verschiedene Ideen und Möglichkeiten gibt für die Wahl von Verfassungsrichterinnen und -richtern – vom Vorschlagsrecht durch den Justizminister bis zur Selbstergänzung durch die Richterbank. Allerdings wäre keines dieser Verfahren perfekt, so ihre Einschätzung.

Denn sollte der Justizminister entscheiden, wäre dies nicht gut für die Unabhängigkeit, es wäre auch nicht gut für die breite Repräsentanz von verschiedenen Personen.Und sollten Richter*innen entscheiden, könnte es Probleme mit einer Art Kastenbildung geben – und auch mit der viel geringeren demokratischen Legitimation.

"Es gibt kein ideales Verfahren für die Bestimmung von Verfassungsrichtern. Es ist immer ein Kompromiss, eine Quadratur des Kreises."
Gudula Geuther, Hauptstadtstudio Berlin

Ihr Fazit:

  • Das aktuelle Verfahren sei im Kern richtig, solange die Zweidrittelmehrheit nicht aufgeweicht werde.
  • Der Richterwahlausschuss sei nötig, damit Fachpolitiker die Eignung der Kandidaten einschätzen könnten.
  • Die Wahl im Bundestag sorge für größtmögliche Transparenz.

Würde man diese Hürden absenken, drohe eine Politisierung nach US-Vorbild – und damit ein Verlust an Akzeptanz für das Gericht.