Haste bisschen Geld?Wann wir Fremden helfen – oder eben nicht

Am Bahnhof, an der Tanke, vor dem Supermarkt: Fremde bitten uns um Geld – und wir schwanken. Einerseits wollen wir helfen. Andererseits wollen wir nicht übers Ohr gehauen werden. Was in uns passiert, wenn wir in Sekunden entscheiden müssen.

Eine Frau am Bahnhof braucht angeblich dringend Geld für ein Ticket, um zur kranken Mutter zu fahren. An der Tankstelle bittet jemand verlegen, ob wir seine Tankfüllung bezahlen können. Eine andere Frau will kurz unser Handy benutzen, weil ihres gestohlen wurde. Es gibt Situationen, in denen wir spontan um Hilfe oder Geld gebeten werden. Irgendetwas in uns will hilfsbereit sein. Doch auf der anderen Seite ist da diese Stimme, die sagt: Vorsicht, das ist bestimmt eine Masche. Gib lieber nichts.

Zwischen Mitgefühl und Misstrauen

Interessanterweise entsprechen aber viele "Geschichten", die wir auf der Straße hören, genau diesem Muster: Sie erregen einerseits unser Mitleid, andererseits sind sie nicht überprüfbar und entsprechen dem Sinnbild einer sogenannten Masche. Da ist es ganz normal, dass wir verunsichert sind, sagt Anne Böckler-Raettig.

Die Professorin für Psychologie an der Uni Würzburg beschäftigt sich in ihrer Forschung mit sozialem Handeln in Situationen wie diesen – auf der Straße, am Bahnhof, vor dem Supermarkt. "In uns werden gleichzeitig zwei unterschiedliche Handlungsimpulse aktiviert", erklärt sie. "Zum einen ist es für uns Menschen eine ganz natürliche Reaktion, zu helfen – vor allem, wenn wir direkt gefragt werden. Zum anderen wollen wir uns aber auch nicht manipulieren oder betrügen lassen." Passiert das doch, fühlen wir uns in unserer Autonomie, Intelligenz und Kompetenz infrage gestellt. Und so wolle sich schließlich niemand fühlen.

"Sind wir gestresst, hungrig oder einfach mit dem Kopf woanders, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir helfen, kleiner."
Anne Böckler-Raettig, Professorin für Psychologie an der Uni Würzburg

Wie wir uns als Gefragte uns entscheiden, hängt sowohl von uns selbst als auch vom Gegenüber ab, sagt die Psychologin. Und es wird noch komplizierter: Während wir einer Person vor dem Supermarkt, die nach Geld fragt, etwas in die Hand drücken, gehen wir einige Tage später genervt an ihr vorbei. Anne Böckler-Raettig hat dafür folgende Erklärung: Ob wir jemandem helfen, hängt auch davon ab, wie unsere Verfassung ist, wie unser Tag war, kurzum: wie es uns gerade geht.

Sympathie und Stereotype beeinflussen Entscheidung

Wie wir uns entscheiden, hängt aber auch wesentlich von der Wirkung des Gegenübers ab, erklärt die Psychologin. "Erinnert uns die um Hilfe bittende Person an jemanden, den wir ablehnen, wird es unwahrscheinlicher, dass wir helfen." Erinnert uns die Person hingegen an uns selbst oder schildert sie eine Situation, in der wir auch schon mal auf Hilfe angewiesen waren, helfen wir viel eher.

"Können wir uns mit der Person identifizieren, fällt es uns leichter zu helfen. Dabei spielen auch Alter, Geschlecht und kultureller Hintergrund eine Rolle."
Anne Böckler-Raettig, Professorin für Psychologie an der Uni Würzburg

Wenn der Eindruck, den eine Person macht, so entscheidend ist, spielen dabei auch weitere Faktoren eine Rolle – Alter, Geschlecht, kultureller Hintergrund und Hautfarbe. Denn bei der Frage, ob wir der Person Geld geben, müssen wir uns innerhalb weniger Sekunden entscheiden, führt die Psychologin aus.

Dabei greifen wir unweigerlich auf Oberflächlichkeiten und Stereotype zurück. Und diese Bilder rufen wir in Situationen ab, in denen wir unerwartet angesprochen werden. Im Zweifel bedeutet das also, dass unsere eigenen Stereotype beeinflussen, ob wir helfen oder nicht.

"Wir wachsen immer noch mit Narrativen auf, dass Menschen, die anders aussehen als wir, auch bedrohlicher sind."
Anne Böckler-Raettig, Professorin für Psychologie an der Uni Würzburg

Wer sich nun ertappt fühlt und denkt: Mist, hätte ich das eine oder andere Mal vielleicht doch etwas gegeben, dem rät Anne Böckler-Raettig, sich vor lauter schlechtem Gewissen nicht fertig zu machen, sondern in sich hineinzuhorchen. "Wir können und sollten uns fragen, warum wir nicht geholfen haben." Eine Antwort könnte sein: Am Bahnhof ist es mir einfach zu bedrohlich, meine Geldbörse rauszuholen. Dann könnte es eine Idee sein, stattdessen der Bahnhofsmission etwas zu spenden.

Denn am Ende geht es nicht um ein paar Euro, die wir mal geben oder nicht, argumentiert Anne Böckler-Raettig. Es gehe um unsere grundsätzliche Einstellung. "Wir Menschen sind gegenseitig auf Hilfe angewiesen.“ Und sie betont: "Uns gegenseitig zu helfen, ist eine gesellschaftliche Verantwortung, die wir alle tragen."