EmotionenGefühle lenken, statt sich von ihnen lenken zu lassen
Louisa fühlt viel. Im Job hat sie ihre Gefühle im Griff, privat lässt sie alles gerne raus. Können wir uns auch zu viel mit unseren Gefühlen beschäftigen? Ja, sagen zwei Experten. Nicht jedem Gefühl müsse bis aufs Kleinste nachgegangen werden.
Wenn sich Louisa einen Film anschaut, fühlt sie alle Emotionen. Sie weint, sie schreit und manchmal verlässt sie auch den Kinosaal, wenn es ihr zu viel wird. "Wir haben 'Jurassic World' geguckt und das war so aufregend für mich, dass ich unser ganzes Popcorn losgelassen habe und es durch den Saal geflogen ist", erzählt sie.
Louisa fühlt oft intensiv. Besonders, wenn sie etwas in ihrem Privatleben beschäftigt, möchte sie ihre Gefühle auch spüren, statt sie wegzudrücken.
"Ich bin ein Mensch, der gerne auch sehr intensiv in diese Stimmung reingeht."
Wenn sie zu Hause ist, kann sie alles rauslassen. Alles, was sie den Tag über beschäftigt hat. Hier muss sie nicht funktionieren. Anders als auf der Arbeit. Louisa ist Operationstechnische Assistentin (OTA). Im OP kann alles passieren: Dort erlebt sie dramatische Momente und auch schöne, zum Beispiel eine Geburt.
In ihrem Job will Louisa professionell bleiben. Das bedeutet: Sie drückt negative Gefühle eher runter. "Im OP laufen die Sachen schnell ab und du hast gar keine Zeit, dich mit diesen Gefühlen wirklich auseinanderzusetzen", sagt sie. Die Emotionen nimmt sie dann mit nach Hause oder verarbeitet sie auf dem Heimweg.
Über Gefühle sprechen
Über das, was sie beschäftigt, spricht sie als Louisa Naomi auf ihren Socials und privat mit ihren Freund*innen und ihrem Partner. Er versteht sie und kann mit dem intensiven Fühlen gut umgehen. "Das Schöne ist, dass mein Partner auch so ist, vielleicht sogar mehr als ich. Gerade wenn es um positive Gefühle geht", erzählt sie.
Mit ihren engsten Menschen um sich herum fühlt Louisa sich wohl und lässt alles raus. Sie weiß aber auch, dass andere damit überfordert sein können und kann sich – abhängig von ihrem Umfeld – auch eher rational verhalten.
Gefühle: Alles steht Kopf?
Was wir wann warum wie stark empfinden, ist individuell und damit unterschiedlich von Person zu Person. Gefühle sind hochkomplex. Deswegen lohnt es sich, sie einzuordnen, sagt Volker Busch. Als Neurowissenschaftler, Psychiater und Autor beschäftigt er sich damit, wie unser Gehirn arbeitet.
"Ich bin ein großer Fan von Gefühlen. Aber die Dosis macht das Gift. Was für Schokolade und Rotwein gilt, das gilt letztendlich auch für Gefühle."
Er findet, dass aktuell vieles emotionalisiert wird. "Ich glaube, dass wir in einer zu gefühligen Zeit leben, in dem wir den Gefühlen – so wichtig sie für das Wohlbefinden sind und für das Gefühl einer Identität auch sein mögen – manchmal zu sehr Bedeutung beimessen", sagt er.
In politischen Diskussionen zum Beispiel würden Gefühle teilweise als Wahrheit dargestellt. Dabei würden uns Gefühl auch in eine Richtung leiten können, die nicht gut für uns ist. "Sie können uns manchmal den Blick vernebeln und uns wenig besonnen handeln lassen", so der Neurowissenschaftler und Psychiater. Bevor wir also direkt aus einem bestimmten Gefühl heraus handeln, ist es immer eine gute Idee, erstmal durchzuatmen.
Emotionen regulieren
Es ist auch eine Frage der Balance. Wie viel gebe ich da jetzt rein? Ist in dem Gefühl eine Erkenntnis versteckt oder verliere ich mich darin? Hinter unseren Gefühlen wirken verschiedene Mechanismen. "Wir beschäftigen uns damit in der Annahme, dass es irgendwelche tiefschürfenden Ursachen gibt, die wir kennen sollten, um uns besser zu verstehen. Aber wir ignorieren, dass es noch viele andere Mechanismen gibt, die Gefühle verstärken und absolut nicht tiefgründig sind", erklärt Psychotherapeutin Gitta Jacob.
"Es ist viel leichter, sich schlecht zu fühlen."
Ein Gefühl kann zum Beispiel alleine deshalb intensiver werden, weil wir immer wieder in das Erleben reingehen. Wenn wir uns mit einer Thematik schon wiederholt beschäftigt haben, eine Erkenntnis daraus gezogen haben, dann kann es beim nächsten Mal helfen, das Gefühl wahrzunehmen und es dabei zu belassen.
Wenn wir aber ein Gefühl bemerken, über das wir stolpern, weil es nicht zur Situation passt, dann könnte es sich lohnen, nachzuforschen. So eine Situation könnte zum Beispiel sein, dass wir uns plötzlich alleine fühlen, obwohl wir mit engen Freund*innen Zeit verbringen. Wenn ich mich noch nicht x-mal damit auseinandergesetzt habe, dann macht es Sinn, hier nochmal genauer hinzugucken, sagt Gitta Jacob.
Distanz reinbringen
Wir können uns auch dafür entscheiden, aktiv zu werden. Manchmal kann eine gewisse Distanz helfen. Das funktioniere etwa über Achtsamkeitsübungen, wie:
- auf den Atem achten und neutral beschreiben, was wir fühlen.
- sich mit etwas Positivem ablenken. Das kann zum Beispiel ein Gespräch mit Freund*innen sein.
- den Körper in Bewegung bringen.
Ziel ist es, sich nicht weiter in etwas reinzusteigern. Wir sind unseren Gefühlen nicht ausgeliefert. "Es gibt ganz viel Evidenz dafür, dass man anders fühlen kann", so Gitta Jacob.
Zumal es auch leichter für uns sei, uns schlecht zu fühlen. Das ist evolutionsbedingt und sollte vereinfacht gesagt, unser Überleben sichern. Wenn uns ein Säbelzahntiger gegenübersteht, ist Angst hilfreich. Weil wir dann weglaufen. Gefühle wie Freude oder Verliebtheit hingegen waren damals nicht überlebenswichtig. Darum müssen wir für solche Gefühle etwas mehr tun. "Für positive Gefühle muss man sich einsetzen, die muss man aktiv gestalten", erklärt die Psychotherapeutin.
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