Wohnen ohne monatliche MieteWie das Jeonse-System in Südkorea funktioniert
Keine monatlichen Mietkosten? Klingt erstmal gut. In Südkorea zahlen Mieter stattdessen eine sehr hohe Kaution über hunderttausende Euro. Jeonse heißt das System – und es ist ziemlich irre.
Stellt euch vor, ihr zieht in eine Wohnung, mitten in einer Millionenstadt wie Seoul (Bild oben). Ihr zahlt einmalig eine ziemlich hohe Kaution – aber keine Miete. Klingt absurd? Willkommen in Südkorea.
Dort leben Millionen Menschen in einem System namens Jeonse. Der Deal: Zu Beginn des Mietvertrags zahlen Mieter*innen eine einmalige, extrem hohe Kaution. Dafür können sie dann zum Beispiel zwei Jahre lang mietfrei wohnen. Am Ende bekommen sie ihr Geld zurück – zumindest theoretisch.
Extrem hohe Kaution – mit Risiken
Denn so faszinierend die Idee auf den ersten Blick wirkt, so hart ist die Realität dahinter. In Seoul liegt die durchschnittliche Jeonse-Kaution für ein Apartment bei umgerechnet über 450.000 Euro. Wer das nicht aufbringen kann mit familiärer Unterstützung oder durch Erspartes, muss sich verschulden. Und zwar nicht, um Eigentum zu erwerben, sondern nur, um überhaupt eine Wohnung beziehen zu dürfen.
"Hier ist es ja so, dass man 50 bis 80 Prozent des Kaufpreises schon als Miete hinterlegen muss. Das muss man ja in der Regel als Kredit aufnehmen."
Michael Voigtländer ist Professor für Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Er sieht das System kritisch, weil Menschen sehr häufig Kredite aufnehmen müssen, um die Kaution überhaupt bezahlen zu können. Für junge Menschen sei das besonders problematisch, so Michael Voigtländer.
In dieser Folge klären wir, wie das Jeonse-System entstanden ist und warum es für viele junge Menschen in Südkorea heute zur echten Belastung wird. Wer nicht von der Familie unterstützt wird, muss oft Kredite aufnehmen. Nur um überhaupt eine Wohnung mieten zu können. Am Ende steht aber dann eben nicht Eigentum, sondern Verschuldung – einfach fürs Wohnen.
Große Belastung – gerade für junge Menschen
Auch Betrugsfälle häufen sich: Wenn Vermieter das Geld falsch investieren oder insolvent gehen, ist das Ersparte weg. Jeonse kann deshalb zur echten Falle werden, besonders für junge Leute. Was auf den ersten Blick wie ein cleveres Mietmodell wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als finanzielles Risiko – gerade für solche, die wenig haben.
Und auch für die, die die Riesensumme aufbringen können, ohne sich zu verschulden, macht es wirtschaftlich wenig Sinn, sagt Michael Voigtländer: "Nein, das ist kein Geschenk. Selbst wenn ich das Eigenkapital komplett habe. Statt es in die Wohnung zu stecken, hätte ich das zum Beispiel am Aktienmarkt anlegen können und hätte dann monatlich meine Erträge damit erwirtschaftet."
"Nein, das ist kein Geschenk. Selbst wenn ich das Eigenkapital komplett habe."
Das Jeonse-System zeigt, wie unterschiedlich Wohnmodelle weltweit funktionieren können. Und dass Mietsysteme historisch gewachsen sind, nicht naturgegeben. Genau deshalb lohnt sich der Blick über den Tellerrand: um besser zu verstehen, was wir in Deutschland haben und was wir vielleicht anders oder weiterdenken könnten.
Übrigens: Unser westliches Mietsystem heißt in Südkorea "Wolse". Zudem gibt es noch das "Bajeonse" (wörtlich: "Halb-Jeonse"), ein Mischsystem aus nicht ganz so hoher Kaution und kleinen Monatsmieten.
In dieser Folge What-the-Wirtschaft sprechen Anca und Bo darüber, wie Wohnen ganz ohne Miete funktionieren kann – zumindest in Südkorea. Was steckt hinter dem Jeonse-System? Und wäre so etwas auch bei uns denkbar... oder einfach nur sozialer Sprengstoff?
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