Pop im Jahr 2018Schlager? Pop? Es ist kompliziert

Ist das noch Indie oder schon Schlager? Wer deutschsprachige Popmusik hört, dem drängt sich diese Frage auf. Was unterscheidet Bands wie Planetarium oder Haiyti noch von Helene Fischer? Wir haben in unserer Musikredaktion nachgefragt. Die Kurzzusammenfassung: Kitsch geht klar, Schlager nicht.

"Magie" - die aktuelle Single der Band Planetarium aus Köln hat bei den Moderatorinnen und Redakteuren von Deutschlandfunk Nova erstaunte Gesichter hervorgerufen. Wir haben unsere Experten in der Musikredaktion gefragt: "Schlageralarm bei Deutschlandfunk Nova?" 

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Unsere Musikredakteure Christian Moster und Daniel Hauser weisen Verschwörungstheorien, dass Helene Fischer oder Roland Kaiser heimlich das dritte Programm des Deutschlandradios unterwandert haben könnten, erst einmal weit von sich. "Magie" sei kein Schlager, versucht Daniel zu beruhigen. Das Stück zitiere sogar "Am Brunnen vor dem Tore", ein Gedicht aus dem 19. Jahrhundert. Die reine Hochkultur. 

Schlager meets Hochkultur

Daniels Kollege Christian muss allerdings zugeben: "Magie" sei zwar kein Schlager in Reinform, der Song enthalte aber eben schon eine kräftige Prise des Musikstils. "Da können Planetarium so viel Literatur zitieren, wie sie wollen."

Fest steht: Planetarium sind nicht die Einzigen, die zurzeit kräftig mit dem Schlager flirten. Ebenfalls bei Deutschlandfunk Nova regelmäßig zu hören ist "Sunny driveby" von Haiyti. Ein Popsong mit viel Schlageranteil, so Christian. Der Musikredakteur wittert einen Trend. 

Schlager - so deutsch wie der Gartenzwerg

Aus musikwissenschaftlicher Sicht ist Schlager etwas sehr Deutsches, referiert Daniel. Er gehöre zur Bundesrepublik wie der Krautrock. Dabei lasse sich das Genre musikalisch gar nicht so eindeutig fassen. Denn Schlager sei nicht gleich Schlager: Zu unterschiedlichen Zeiten habe sich der Musikstil immer wieder bei unterschiedlichen anderen Genres bedient: von Operette über Jazz und Rock bis hin zu Dance à la Helene Fischer.

Fest steht: Schlager ist eigentlich das Gegenteil der Musik, die im Programm von Deutschlandfunk Nova zu hören ist:  Schlager ist völlig eindeutig, plakativ, oberflächlich, vielleicht auch mal nostalgisch. Und darum ist für Daniel auch so wichtig zu betonen: Das, was Planetarium macht, ist etwas anderes als Helene Fischer. Auch bei Planetarium werde über das große Thema "Liebe" gesungen. Aber das komme dann nicht mit Kalkül um die Ecke, sondern gehe auf persönliches Erleben zurück, versichert Julia, die Sängerin von Planetarium.

"Meistens erinnere ich mich an den Moment, in dem ich den Song geschrieben habe. Ein Moment, wo ich realisiert habe, dass man wirklich verliebt ist und dass das so ein Gefühl ist, das man mit nach Hause nimmt, auch wenn man die Person nicht mehr sieht. Der Song macht mich selbst immer noch glücklich."
Julia, Sängerin Planetarium

Christians These: Wenn wir bei Deutschlandfunk Nova von "Schlager" sprechen, dann sei das eher eine Art Metapher. Was wir eigentlich meinten, sei eher das, was vielleicht den Kern des Schlagers ausmacht: den Kitsch. Und der habe schon seit einiger Zeit massiv Einzug in der Popmusik gehalten. Und zunehmend eben auch in dem Genre, das gerne als Indie bezeichnet wird.

Kitsch-Welle im Pop

Daniel hält die Faszination für den Kitsch in der Popmusik für eine Welle, wie es schon viele in der Popmusik gegeben habe – alles andere würde ja auch Stillstand bedeuten. Am Anfang hätten wir das alles noch anders eingeordnet, weil die Musik - wie die von Wanda oder Bilderbuch - aus Österreich kam, mit ein bisschen Schmäh garniert. Und da guckten wir als Deutsche gerne lächelnd, sehnsüchtig drauf. Vielleicht auch, weil wir auf der anderen Seite der Alpen kein so entspanntes Verhältnis zu Tradition und Geschichte hätten.

Keine Angst vor Kitsch, keine Angst vor Magie – Planetarium

Als dann auch noch Autotune in Fahrt kam, fiel es offenbar leichter, die eine oder andere Kitschzeile durch den Effekt zu jagen. Und vielleicht sei es auch kein Zufall, dass sich die Produzenten von Hayiti, "Kitsch-Krieg" nennen. 

Nicht viel anfangen kann Musikredakteur Christian mit der Aussage, auf Deutsch klinge alles irgendwie kitschig. Wer das behaupte, müsse nur einmal die Band Die Nerven aus Stuttgart hören. Nach Christians Meinung vollständig kitschfreie Musik in deutscher Sprache aus dem Jahr 2018. Und ein scharfer Kontrast zu allen Bands, über die wir weiter oben gesprochen haben.  

"Ich habe zum Beispiel gar keine Berührungsängste damit, Musik zu präsentieren, die einfach auch unangenehm ist und die auch unangenehme Gefühle erzeugt, weil ich selbst irgendwie empfänglich für so was bin.."
Max Rieger, Sänger Die Nerven

Trotzdem finden es unsere Musikredakteure zu einfach, Bands wie Planetarium vorzuhalten, sie liefen ausschließlich mit der rosaroten Brille durchs Leben. Auch weil "Magie" nur einer von vielen dreiminütigen Songs sei, den die Band veröffentlich hat. Das Spiel mit dem Kitsch ist also mehr als eine Masche. Mit dieser Einförmigkeit versuchten Planetarium sogar zu brechen, weil sie nicht in irgendwelche vorgefertigten Schubladen passen wollten, sagt Daniel. Und genau das sei wiederum ein typisches Merkmal von Indie-Musik. Und auch in diesem Genre gebe es eben Trends: Und nach einer Phase, in der Betroffenheit und Verkopftheit im Mittelpunkt stand, sei jetzt eben mal eine Phase der Leichtigkeit dran.

"Ich hätte mich wahrscheinlich vor ein paar Jahren nicht getraut, so eine Frage wie 'Glaubst Du an Magie' zu stellen. Und jetzt glaub ich irgendwie: Das darf man gerade."
Julia von Planetarium

Christian Moster hat allerdings noch einen anderen Verdacht: In Zeiten der Digitalisierung lasse sich mit Musik immer weniger Geld verdienen. Und so verschwimme auf einmal die Schnittmenge zwischen Schlager und Pop. Deutlich auch bei so genannten Deutschpoeten wie Max Giesinger zu beobachten. Nach Christians Meinung so etwas wie der Prototyp von schlagermäßig verkitschter Popmusik und damit für diese Konzentration in der Mitte. Außerdem hat er beobachtet, dass diese Tendenz gerade auch den Indie-Pop erfasst. Und da sei "Magie" eben schon ein passendes Beispiel.