Angehöriger ein Jahr nach HanauMirkan Unvar: "Wir wollen Taten sehen, aber bisher ist das nicht der Fall"

Vor einem Jahr starb Ferhat Unvar mit acht weiteren Menschen beim rassistisch motivierten Anschlag in Hanau. Wir haben mit seinem Bruder Mirkan darüber gesprochen, wie es ihm seitdem geht.

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov und Ferhat Unvar: Das sind die Namen der neun Menschen, die bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 von einem 43-jährigen Deutschen gezielt ermordet wurden.

"Es ist schon eine gewisse Wut in mir. Ein Jahr nach dem Anschlag haben wir immer noch viele Fragen."
Mirkan Unvar, Bruder von Ferhat

Ein Jahr danach fordern die Betroffenen und Angehörigen nach wie vor mehr Aufklärung – so auch Mirkan Unvar, der Bruder des getöteten Ferhat. "Es gibt immer noch viele Lücken, die gefüllt werden müssen. Wir bekommen meistens nur leere Versprechen. Wir wollen Taten sehen, aber bisher ist das nicht der Fall. Wir müssen alles selbst machen", sagt er.

Vom Staat wünsche sich Mirkan nicht nur eine vollständige Aufklärung über die Tat und ihre Hintergründe. Auch bei der Aufklärung über Rassismus, der Prävention von Rassismus und dem Umgang mit Rassismus sehe er Nachholbedarf und wünsche sich mehr Maßnahmen. "Von einer großen Veränderung kann ich nicht sprechen", sagt er.

Warum Mirkan sich alleingelassen fühlt

Mirkan denke sehr oft an Ferhat, er beschreibt ihn als einen Menschen, mit dem er gerne unterwegs gewesen ist, einen, der die Menschen zum Lachen gebracht hat und als ein schmerzlich vermisstes Familienmitglied.

"Er war für mich ein Vorbild, mein Bruder, und er hatte auch gleichzeitig eine Vaterrolle."
Mirkan Unvar über seinen Bruder Ferhat

Ein Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag sei es für Mirkan besonders schwer, an den Orten in der Stadt zu sein, an denen er früher zusammen mit den getöteten Menschen Zeit verbracht habe. "Da macht es mich sehr traurig, hier zu leben", sagt er. "Was mich besonders schmerzt, sind die Blicke der Menschen. Denn die Menschen in Hanau wissen, wer die Angehörigen sind."

"Dieser Ort ist wie ein Wohnzimmer der Erinnerung für uns alle."
Mirkan Unvar über das ehemalige Ladengeschäft

Der Austausch mit anderen Angehörigen in einem ehemaligem Ladengeschäft, das als Ort der Begegnung dient, und das damit verbundene Gefühl, nicht alleine zu sein, habe Mirkan und seiner Familie im vergangenen Jahr Kraft und Motivation gespendet. "Mir und meiner Familie hat der Zusammenhalt geholfen – zu wissen, dass wir nicht alleine sind", sagt er.

Lass dir helfen!

Bestimmte Dinge beschäftigen dich im Moment sehr? Du hast das Gefühl, in einer ausweglosen Situation zu stecken? Wenn du dir im Familien- und Freundeskreis keine Hilfe suchen kannst oder möchtest, findest du hier einige anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:

  • Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen du über deine Sorgen und Ängste sprechen kannst. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.
  • Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.
  • Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Bei MuTeS arbeiten qualifizierte Muslime ehrenamtlich. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch.
  • Hier findest du eine Übersicht von Telefon- und Online-Beratungen in Deutschland: suizidprophylaxe.de.

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