Ethik des SterbensPhilosophie und vorsätzliche Selbsttötung

Der Tod - eine rationale Entscheidung? Meistens nicht. Selbsttötungen, denen eine rationale Entscheidung zugrunde liegt, machen nur einen kleinen Prozentsatz aus, sagt Hans-Joachim Pieper. Er beschäftigt sich auch mit den Begrifflichkeiten, wie "Selbstmord" oder "Freitod".

Etwa 10.000 bis 20.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland, indem sie sich selbst umbringen. Dazu kommt noch eine Dunkelziffer. In 90 Prozent der Fälle liegen laut Hans-Joachim Pieper psychische Erkrankungen vor.

Der Philosoph führt als Beispiel für eine klar durchdachte Selbsttötung den Schriftsteller Jean Améry an. In dessen Buch "Hand an sich legen" fordert Améry das Recht eines jeden Menschen ein, sich selbst töten zu dürfen. In beispielloser Konsequenz tötet er sich nach der Veröffentlichung - im Jahr 1978 - auch tatsächlich selbst.

"Der Hang zum Freitod ist keine Krankheit, von der man geheilt werden muss wie von den Masern. Der Freitod ist ein Privileg des Humanen."
Jean Améry, Schriftsteller

Doch wird gerade ein solches Recht unter anderem von den beiden großen christlichen Kirchen heftig bestritten. Sie sagen, die Menschen seien lediglich Verwalter, nicht Eigentümer ihres Lebens.

"Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen."
Katechismus der Katholischen Kirche

Auch die Philosophen haben diese Frage im Lauf der Menschheitsgeschichte nicht einheitlich beantworten können. Während Platon und Aristoteles die Selbsttötung ablehnen, gilt es für Seneca und Marc Aurel hingegen als ehrenvoll, dem Leben selbst ein Ende zu setzen, wenn es nicht mehr lebenswert erscheint.

Suizid, Freitod, Selbstmord - jeder Begriff ist konnotiert

Der Geschichtsphilosoph Pieper arbeitet in seinem Vortrag außerdem heraus, dass bei den Begrifflichkeiten zu diesem Thema meist eine bedenkliche Konnotation mitschwingt. So auch bei dem oft verwendeten Ausdruck "Selbstmord".

"Selbstmord ist ein Begriff, der diese Handlung schon sprachlich als Verbrechen charakterisiert."

Nicht viel besser sieht es nach Pieper mit "Suizid" aus. Weil dieses Wort meist von Medizinern und Psychologen benutzt werde, würden die Betroffenen dadurch "pathologisiert". Pieper selbst spricht deshalb ausschließlich von "vorsätzlicher Selbsttötung".

Hans-Joachim Pieper ist Professor für Philosophie, vor allem für die Geschichte der Philosophie an der Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn sowie deren kommissarischer Rektor. "Selbstmord oder Frei-Tod" hieß sein Thema während der Vorlesungsreihe "Ethik des Sterbens", veranstaltet von der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn. Gesprochen hat er dort am 13.1.2017.

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