Für chronisch Erkrankte und Menschen mit Behinderungen verstreicht Zeit oft anders. Wie kann man dieses andere Zeitgefühl im Comic darstellen? Ein Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Irmela Marei Krüger-Fürhoff.
Chronische Krankheiten sind oft nicht sichtbar. Wer zum Beispiel an Chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) leidet, dem fehlt oft die Kraft, überhaupt aufzustehen. Die Betroffenen verbringen lange Zeit in ihrem Bett, auf dem Sofa, im Zimmer. Das verändert auch das Zeiterleben. Wie lässt sich diese Erfahrung, dieses Empfinden, vermitteln?
"Während die absehbare und ununterbrochene Reihung erwartbarer Lebensphasen als 'normal' gilt, führen gesundheitliche Einschränkungen häufig dazu, sich gleichzeitig in verschiedenen Lebensabschnitten und auch Lebensaltern zu fühlen."
Zwei Künster*iinnen, die US-Amerikanerin Tessa Brunton und die Deutsche Paula Kempker haben selbst ME/CFS und haben darüber Comics verfasst. Mit den Mitteln des Genres versuchen sie darzustellen, was es bedeutet, eine chronischen Krankheit zu haben, wie sich das Verhältnis zu Freunden und Bekannten ändert, wie Zeit anders verrinnt.
Wie man Disabilities im Comic darstellen kann
Mit welchen literarischen und Comic-spezifischen Mitteln gelingt es Tessa Brunton und Paula Kempker, chronische Krankheiten darzustellen? Darum geht es im Vortrag von Irmela Marei Krüger-Fürhoff. Sie ist Literaturwissenschaftlerin, Comics und Disability Studies gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten.
"Was bedeutet es, eine unsichtbare Krankheit wie ME/CFS in einem Comic, also einer Bild-Text Kombination, darzustellen?"
Im Englischen gibt es für das Zeitempfinden von chronisch Erkrankten und Menschen mit Behinderungen den Ausdruck "Crip Time", "Krüppel-Zeit". Der Begriff soll unter anderem dazu dienen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Zeit unterschiedlich erlebt wird und eine andere Rolle spielen kann für chronisch Erkrankte.
"Darstellungen aus der Binnenperspektive des Erlebens, seien sie in Form von Internetposts, als literarische Texte oder Comics, besitzen in besonderm Maße ein aufklärerisches, sensibilisierendes und Behinderten-aktivistisches Potenzial."
Im Comic lässt sich das Verstreichen der Zeit mit unterschiedlichen Mitteln abbilden, erklärt Krüger-Fürhoff in ihrem Vortrag. Große Panels können zum Beispiel Ruhe und Stillstand vermitteln, mit vielen kleinen Panels lässt sich Schnelligkeit und Hektik darstellen. Wenn Künster*innen wie Tessa Brunton und Paula Kempker Krankheit aus ihrer eigenen Perspektive darstellen, dann trägt das besonders dazu bei, über chronische Krankheiten aufzuklären und für sie zu sensibilisieren, sagt Krüger-Führhoff.
Irmela Marei Krüger-Fürhoff ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Ihr Vortrag hat den Titel "'Crip Time' und Chronizität in Literatur und Comic". Sie hat ihn am 16. Juli 2025 an der Freien Universität Berlin gehalten im Rahmen der Ringvorlesung "Literary Disability Studies. Aspekte einer inklusiven Philologie". Organisiert haben die Reihe das Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin, in Kooperation mit dem DFG-Netzwerk Inklusive Philologie. Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum.
Hörsaal live
Falls ihr den Hörsaal live erleben wollt, dann kommt zwischen dem 29. Oktober und 2. November 2025 zum SILBERSALZ Festival in Halle (Saale).
