Wenn Kinder in Familien wie Eltern funktionieren, kann es sich um sogenannte Parentifizierung handeln. Milena erzählt, wie sich das anfühlt - und was ihr hilft. Familientherapeutin Anke Lingnau Carduck ordnet das Problem genauer ein.
Zwischen überfordern und Selbstständigkeit zulassen liegt im Eltern-Kinder-Verhältnis nur ein schmaler Grat. Wird Kindern dabei zu viel zugemutet, wird die Kind-Rolle dauerhaft zu einer Quasi-Eltern-Rolle hin verzerrt.
Parentifizierung nennt man das. Vereinfacht gesagt bedeutet das, dass Kinder in eine Rolle gezwungen werden, die eigentlich das Eltern-Kind-Verhältnis umdreht. So geht es Milena im Verhältnis zu ihrer Mutter.
"An die Kinder: Ihr seid nicht für das Glück eurer Eltern verantwortlich."
Das hat Milena gemeinsam mit ihrer Therapeutin erarbeitet. Auf deren Rat hin hat Milena den Kontakt zur Mutter momentan abgebrochen. Sie hat damit das Gefühl beendet, sich an einem Gummiband zwischen Frust und Nähe zu bewegen. Das Ziel ist gegenseitige Akzeptanz.
"Ich erlebe eine Bedürftigkeit von meiner Mutter. Dass sie mir Dinge erzählt und mein Feedback haben möchte."
Sie erinnert sich, dass ihre Mutter nach der Trennung von Milenas Vater die Worte gesprochen hat: Du bist ja mein großes Mädchen, ich brauche dich jetzt. Da war Milena acht Jahre alt. Sie hat angefangen zu versuchen, das Scheitern ihrer Mutter zu verhindern.
Heute ist sie, bis auf diesen problematischen Rollentausch, ganz erwachsen, wie sie sagt. Sie hat ihr Studium abgeschlossen und verdient ihr eigenes Geld.
"An Eltern: Man hat nicht nur eine Verpflichtung dem Kind, sondern auch sich selbst gegenüber."
Sie hat daheim zu viel Verantwortung übernommen, hat immer den kümmernden Blick für alles und jeden dort. Das hat Folgen für Milena selbst: Sie kann sich nicht entspannen und sich nicht richtig um sich selbst kümmern. Für Milena ist die folgende Aussage ihrer Therapeutin zentral: "Ihre Mutter hat ein Recht auf ein unglückliches Leben."
Elterneben und Kinderbene
Die Eltern gleichberechtigt nebeneinander, die Kinder eine Reihe darunter. Die Eltern sind verantwortlich, haben den Überblick, weisen die Richtung und gucken vorsorgend auf die Kinder: so beschreibt Anke Lingnau Carduck eine Familienaufstellung. Sie wird in der Regel in einer Art Stammbaum verbildlicht.
Parentifizierung meint, dass Kinder sich plötzlich auf der Elternebene wiederfinden, sagt die Familientherapeutin und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie.
"Parentifizierung meint diese Rollenumkehr, dass die Generationsgrenzen diffus werden, dass das Kind eine Etage nach oben rutscht."
Bei Parentifizierung wird zwischen instrumenteller oder emotionaler Form unterschieden, erklärt Anke Lingnau Carduck.
Instrumentelle Parentifizierung bedeutet:
- die Aufgaben sind nicht mehr kindgemäß
- große Überforderung
- kein Lob, die Erledigung ist selbstverständlich
Emotionale Parentifizierung bedeutet:
- Kind wird hereingezogen in die Konfliktlinie zwischen den Eltern
- Kind fühlt sich zuständig für die emotionale Stabilisierung eines Elternteils
- dem Kind begegnet ständig eine Erwartung
"Ein Kind kriegt das erstmal nicht mit. Kinder sind in ihrer Ausrichtung sehr bezogen auf die Eltern."
Parentifizierung begegnet der Familientherapeutin häufig in Trennungs- und Scheidungsfamilien. Die Folgen für die Kinder können sehr langanhaltend sein: "Sie mühen sich ab, wie ein Hamster im Laufrad. Autonomie wird verhindert. Die Kinder bleiben häufig bis ins hohe Erwachsenenalter hinein abhängig. Diese Autonomiebestrebungen werden sehr schwer."
Eltern brauchen Grenzen
Wenn Kindern die Abgrenzung gegenüber den Eltern schwer fällt, wenn das Grenzenziehen schwierig wird, könne das ein Hinweis darauf sein, dass sich Parentifizierung musterhaft eingebahnt habe, sagt Anke Lingnau Carduck. Sich in Form einer professionellen Beratung Unterstützung zu suchen, könne dann empfehlenswert sein.
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- Milena, hat Erfahrung mit Parentifizierung
- Anke Lingnau Carduck, Familientherapeutin