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Während in Berlin über Frieden verhandelt wird, geht der Krieg in Kiew weiter. Der Journalist Denis erlebt dort den Alltag und spürt die Folgen der Gespräche. Wie fühlt es sich an, wenn andere über dein Land und deine Zukunft entscheiden?

Seit Mitte November laufen immer wieder Gespräche über einen möglichen Frieden in der Ukraine. Es geht dabei um viele Fragen: Wie sehr wird die rote Linie der Ukraine verschoben? Wie viele Forderungen Russlands muss das Land schlucken?

In Genf, Moskau und Florida hat es schon Treffen gegeben. Aber nie saßen sich Vertreter aus Russland und der Ukraine direkt gegenüber. Vermittler waren bisher immer die USA, beziehungsweise deren Unterhändler, wie etwa Steve Witkoff und Jared Kushner. Wenn man es ganz genau nimmt: Die beiden sind keine Politiker oder Diplomaten, sondern eigentlich Geschäftsleute.

Große Fortschritte oder Ernüchterung?

Es heißt jedoch, so ernsthaft wie aktuell in Berlin waren die Verhandlungen noch nie. Und der US-Sondergesandte Witkoff schrieb danach auf der Plattform X von großen Fortschritten.

Denis Trubetskoy ist freier Journalist in Kiew und berichtet für deutschsprachige Medien. Er verfolgt die Gespräche genau, gleichzeitig erlebt er auch den Alltag in der Ukraine und blickt weniger positiv auf die bisherigen Verhandlungen.

"Insgesamt führt Russland seit dem 10. Oktober diese Welle an Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur. Und die Folgen sind gerade für Kiew wirklich sehr, sehr stark und im Alltag zu spüren."
Denis Trubetskoy, freier Journalist in Kiew

Denis berichtet, dass Russland bei Angriffen besonders auf die Energieinfrastruktur abzielt. Anfang Dezember wurde zum Beispiel eine Leitung getroffen, die für die Stromversorgung in Kiew sehr wichtig ist. "Das bedeutet für den Alltag der Menschen, dass der absolute Großteil der Leute hier in Kiew jetzt 16, 17 Stunden pro Tag ohne Strom auskommen müssen", sagt Denis.

Im Moment sei das noch erträglich, weil die Außentemperaturen im Plusbereich liegen, aber die große Angst der Menschen sei, dass diese Stromausfälle im Winter bei Schnee und Frost noch massiver ausfallen könnten.

"Es ist nichts Gutes an der Art und Weise, wie diese Gespräche in diesem Jahr geführt wurden."
Denis Trubetskoy, freier Journalist in Kiew

Für Denis ist es ziemlich schräg, dass derzeit in Berlin über einen möglichen Frieden diskutiert wird. "Einfach deswegen, weil es nett und gut ist, wenn die Ukrainer und die Amerikaner sich in Berlin auf ein schönes Papier einigen. Aber so eine richtige Auswirkung auf den Krieg wird das nicht haben", vermutet der Journalist.

Denis sagt, einen einigermaßen akzeptablen Waffenstillstand könne es nur dann geben, "wenn Russland der Meinung ist, dass man an der Front nicht mehr bedeutend vorankommt, dass die Front mehr oder weniger stabilisiert wird. Statt die Ukraine in eine stärkere Position zu bringen und damit zu helfen, wurde dieses Jahr mehr oder weniger vergeudet mit dieser Pseudo-Diplomatie."

Am Ende wird kein Waffenstillstand stehen

In Berlin verfolgt unsere Osteuropa-Korrespondentin Gesine Dornblüth die Gespräche zwischen Vertretern aus den USA und der Ukraine.

Sie sagt: "Das ist der Versuch, die ukrainischen und die europäischen Positionen mit den US-Positionen abzugleichen. Bundeskanzler Merz hat das vor ein paar Tagen so formuliert: Es gehe darum, Ansätze für ein Ende des Krieges zu erörtern."

Für unsere Korrespondentin heißt das, es wird hier am Ende dieser Gespräche in Berlin noch kein Waffenstillstand oder gar Frieden stehen. "Das geht auch gar nicht, weil Russland fehlt", sagt sie.

Details aus dem 20-Punkte-Plan

Das Papier, das hier bei den Verhandlungen im Mittelpunkt steht, ist der sogenannte 20-Punkte-Plan. Allerdings ist es schwierig auszumachen, was dabei die zentralen Punkte sind, denn das Dokument ist nicht öffentlich, erklärt Gesine Dornblüth.

Eine ukrainische Zeitung hat jedoch einige Details aus dem Plan erfahren. Die kennt inzwischen auch Gesine Dornblüth: "Ich nenne mal ein paar Punkte: Die Anerkennung der russischen Kontrolle über die Krim und die Gebiete Luhansk und Donezk. Dann geht es um eine sogenannte entmilitarisierte Pufferzone im Gebiet Donezk. Um ein Einfrieren der Frontlinie im Süden. Dann steht da auch: Die Ukraine solle zum 1. Januar 2027 EU-Mitglied werden. Das ist sehr merkwürdig, weil darüber ja gar nicht die USA entscheiden und weil eine Mitgliedschaft davon abhängt, ob ein Land die Kriterien erfüllt", sagt unsere Korrespondentin.

"Nichts davon ist bestätigt. Und es ist auch gar nicht klar, was für einen Status dieses Papier eigentlich juristisch hat."
Gesine Dornblüth, Osteuropa-Korrespondentin

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte außerdem signalisiert, dass die Ukraine auf das Ziel eines NATO-Beitritts verzichten könnte.

Dieses Eingeständnis sei ein sehr großer Schritt, erklärt Gesine Dornblüth, "insofern, als dass ja die NATO-Mitgliedschaft als Ziel in der ukrainischen Verfassung verankert ist. Aber man weiß in der Ukraine auch schon länger, dass dieses Ziel erstmal unrealistisch ist. Die USA blockieren da und somit ist es eben wesentlich für die Ukraine, dass sie alternative Sicherheitsgarantien bekommt, die eben wirken, auch ohne eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.

Die Interessen der beteiligten Mächte

Unsere Korrespondentin zeichnet die Interessen der beteiligten Staaten folgendermaßen nach: "Ich glaube, bei den USA ist es einfach so, dass sie einen Deal und etwas vorweisen wollen", sagt sie. Trump habe sogar ein Datum genannt, nämlich "bis Weihnachten".

Auf der russischen Seite sieht Gesine Dornblüth vor allem die Maximalforderungen: "Russland beansprucht die besetzten Gebiete für sich und auch eben Teile der vier Oblaste, die Russland schon in die Verfassung aufgenommen hat, aber bisher gar nicht kontrolliert."

Folgen eines Rückzugs

Und genau dieser Punkt sei für die Ukraine total inakzeptabel, sagt sie: "Da gibt es gerade eine neue Umfrage: 75 Prozent der Bevölkerung sind dagegen, 17 Prozent finden die Moskauer Forderungen akzeptabel."

Die Regionen, von denen Gesine Dornblüth spricht, sind Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Vor allem Donezk ist für die Ukraine strategisch sehr wichtig. Die Befürchtung: Ein Rückzug würde es Russland einfach machen, in Zukunft größere Teile der Ukraine einzunehmen, so vermuten es auch Militärexpert*innen.

Hat Russland echte Verhandlungsbereitschaft?

Insgesamt vermutet Gesine Dornblüth, dass Russland seine Verhandlungsbereitschaft nur vortäuscht, "um parallel einfach weiter den Krieg führen zu können. Und das hat Putin wiederum auch mehrfach gesagt in den letzten Tagen und Wochen. Einmal hat er es ungefähr so formuliert, also Verhandlungen sind ja ganz schön, aber wir erreichen unsere Ziele auch mit Gewalt."

"Das Ziel Russlands ist eben, den Eindruck zu erwecken, es sei unbesiegbar und insofern solle die Ukraine doch möglichst bald kapitulieren."
Gesine Dornblüth, Osteuropa-Korrespondentin

Nach fast vier Jahren Krieg und angesichts des bevorstehenden Winters stellt sich vor allem die Frage: Was wünschen sich die Menschen in der Ukraine? Der Journalist Denis Trubetskoy sagt, er spüre zum Beispiel in seinem Freundeskreis eine große Müdigkeit, denn die Diskussionen und Verhandlungen würden sich doch sehr im Kreis bewegen.

"Anfang des Jahres gab es leise Hoffnung, dass Donald Trump zumindest neue Impulse bringt in diesem ganzen Prozess. Aber wir haben uns eigentlich seit dem 20. Januar höchstens um ein paar Zentimeter bewegt", sagt er.

Die Bereitschaft für einen Waffenstillstand sei in der Bevölkerung durchaus vorhanden: "Die absolute Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer ist dafür, dass es einen Waffenstillstand gibt, aber eben nicht zu jeden Bedingungen."

Nicht jede Stimmung lässt sich messen

Seiner Meinung nach lasse sich aber auch nicht jede Stimmungslage im Land soziologisch messen. Zum Beispiel gebe es eine Gruppe, die sich aus tiefstem Herzen einen Waffenstillstand wünsche – so schnell wie möglich und egal zu welchem Preis, nämlich die der jungen Männer im wehrpflichtigen Alter.

Denis sagt: "Um dann die erste Möglichkeit zu nutzen, aus dem Land abzuhauen – das ist ein Teil der Gesellschaft, der soziologisch nicht messbar ist, denn sowas erzählt man eigentlich selbst im engsten Freundeskreis nicht."

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
20-Punkte-Plan
Wie sich die Friedensverhandlungen für Ukrainer anfühlen
vom 15. Dezember 2025
Moderatorin: 
Ilka Knigge
Gesprächspartner: 
Denis Trubetskoy, Journalist aus Kiew
Gesprächspartnerin: 
Gesine Dornblüth, Osteuropa-Korrespondentin