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Ihm droht die Abschiebung, obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist. Robert soll nach Serbien. Ein Land, in dem er nie war. Warum schieben Behörden Menschen ab, die jahrzehntelang geduldet worden sind?

Eigentlich wollte Robert endlich seinen Aufenthaltsstatus klären. Den braucht er, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Denn Robert lebt seit 30 Jahren, fast sein Leben lang, in Deutschland. Dennoch ist er hier nur geduldet. Das heißt, dass er jederzeit abgeschoben werden kann, nicht frei reisen kann, und es bedeutet, dass er nicht arbeiten darf.

Aufenthaltsstatus gilt mehr als Integration

Robert will aber arbeiten, daher tut er das, was die Ausländerbehörde von ihm fordert: Er versucht seinen Aufenthaltsstatus zu klären, dafür braucht er eine Geburtsurkunde.

Diese hat ihm nun endlich die Niederlande ausgestellt. Dort ist Robert geboren. In den Neunzigerjahren kamen seine Eltern als verfolgte Roma in der Zeit des Jugoslawienkrieges dorthin. Mit acht Monaten kam Robert dann nach Deutschland. Er ist hier aufgewachsen, spricht die Sprache, ist zur Schule gegangen, hat eine Ausbildung gemacht. Inzwischen engagiert er sich politisch bei den Grünen. Trotzdem nimmt ihn kein Land als Staatsbürger an. Weder das heutige Serbien noch die Niederlande, geschweige denn Deutschland. Das bedeutet: Robert ist staatenlos.

"Er durfte zum Schluss den Landkreis Chemnitz nicht verlassen, obwohl er hier seit 30 Jahren lebt. Das ist Wahnsinn, anders kann man es nicht bezeichnen."
Dave Schmidtke, sächsischer Flüchtlingsrat

Um die Klärung der Aufenthaltserlaubnis voranzubringen, geht Robert am Freitag, den 12. Juli 2024 zur Ausländerbehörde in Chemnitz. Es handelt sich um dieselbe Ausländerbehörde, die 2023 einen ursprünglich aus Vietnam stammenden und ebenfalls seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Mann abschieben wollte.

Als mentalen Support hat Robert Coretta Storz dabei. Sie ist Vorsitzende bei den Chemnitzer Grünen und beschreibt das Geschehen vor Ort so: Plötzlich kommen zwei Polizisten ins Amtszimmer und sagen, dass Robert in Abschiebehaft kommt. Seinen Anwalt darf er nicht anrufen.

Drei Tage später, am Montag, steht Robert am Flughafen Frankfurt, von wo er nach Serbien ausgeflogen werden soll. Ein Land, in dem er nie war und in dem die Minderheit, der er angehört, diskriminiert wird. Doch seine Abschiebung wird in letzter Sekunde vom sächsischen Innenminister gestoppt.

Um Roberts Fall vollständig zu verstehen, muss man wissen, dass er vor ein paar Jahren mehrere Monate in U-Haft gesessen und dann zwei Jahre auf Bewährung bekommen hatte. Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat erklärt, dass Robert Betäubungsmittel besessen und damit auch gehandelt hat. Und er fügt hinzu: "Aufenthaltsrechtlich hat ihm das alles versaut."

Mangelnde Transparenz bei Entscheidungsprozessen

Unabhängig von dieser Geschichte bezeichnet Birgit Gloriudas, was Robert nun widerfahren ist, als skandalös. Sie ist Professorin für Humangeographie an der Technischen Universität Chemnitz, der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf europäischer Migrationsforschung. Sie sagt: Robert hat, ohne es zu wissen an seiner Abschiebung mitgewirkt.

"Er war dabei, die von den Behörden eingeforderte Identitätsklärung zu vollziehen und hat sich damit im Grunde selbst seiner Abschiebung ausgeliefert."
Birgit Glorius, Professorin für Humangeographie an der TU Chemnitz

In Bezug auf Abschiebungen in Deutschland merkt Birgit Glorius an, dass die Ausländerbehörden wenig transparent und je nach Landkreis unterschiedlich hart entscheiden. Es fehlt nicht an Gesetzen, die geduldete oder geflüchtete Menschen schützen, sagt sie. Es gehe eher darum, welchen Ermessensspielraum einzelne Behörden haben. Da gebe es eklatante Unterschiede von Behörde zu Behörde. Im Grund gehe es aber auch darum, welcher politische Wind gerade weht, also konkret, ob gewollt ist, die Abschiebezahlen zu erhöhen.

Härtefallkommission befasst sich mit Roberts Fall

Und Robert? Sein Fall kommt nun vor die Härtefallkommission. Rechtlich argumentiert Birgit Glorius, könnte er als sogenannter faktischer Inländer eingestuft werden. In Kürze bedeutet das, dass die Tatsachen dass Robert in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert ist, dafür sprechen, dass er auch in Deutschland bleiben kann.

Für Robert heißt es zunächst also, dass er warten muss. Dave Schmidtke hält Kontakt zu Robert und erzählt, dass dieser einerseits überwältigt ist über die Unterstützung, die er gerade bekommt. Andererseits wirken in ihm die Ereignisse nach. Die Fast-Abschiebung und die Bilder von den vielen anderen Menschen, die am Flughafen tatsächlich abgeschoben wurden. Robert hatte in dem Moment Glück. Aber er hat auch Angst. Wegen seines unveränderten Status kann die Abschiebung jederzeit angeordnet werden.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Abschiebung
Warum Robert nach 30 Jahren Duldung gehen soll
vom 16. Juli 2024
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Dave Schmidtke, sächsischer Flüchtlingsrat
Gesprächspartnerin: 
Birgit Glorius, Professorin für Humangeographie an der Technischen Universität Chemnitz mit dem Schwerpunkt auf europäischer Migrationsforschung