Die Diskussion um die Bundeswehr und die Wehrpflicht läuft schon lange. Angesichts des Ukraine-Kriegs hat sie noch mehr an Fahrt aufgenommen. Was steckt hinter den Argumenten für Pflicht oder Freiwilligkeit? Ein Vortrag des Militärsoziologen Heiko Biehl.
Mit einem neuen Wehrdienstgesetz, das Anfang 2026 in Kraft treten soll, will die Bundesregierung mehr Menschen für die Bundeswehr rekrutieren. Der Gesetzesvorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt auf Freiwilligkeit – allerdings mit einem Hintertürchen für die Wehrpflicht.
Aktuelle Info: Die Koalitionsparteien hatten sich eigentlich auf das Gesetz geeinigt, dann platzte die Einigung in letzter Minute doch noch und die Kompromisssuche dauert (Stand 23.10.2025) noch an. Der Bundesverteidigungsminister hält aber nach wie vor am Zeitplan fest – das Ziel bleibe, dass die Reform zum 1. Januar in Kraft trete.
Was spricht für die Wehrpflicht, was für Freiwilligkeit?
Wehrpflicht? Freiwilliger Dienst? Losverfahren? Um diese Punkte streiten nicht nur Politiker*innen, auch die Bürger*innen sind gespalten. In der Diskussion geht es nicht nur um die Gewinnung neuer Rekrutinnen und Rekruten.
Die Frage nach der Wehrpflicht ist mit Ängsten, Erwartungen und Hoffnungen verknüpft. So nehmen manche Befürworter*innen der Wehrpflicht zum Beispiel an, dass sie gerechter ist.
"Ich finde die Hoffnung, dass ausgerechnet die Wehrpflicht demokratische Zuverlässigkeit gewährleistet, doch ein bisschen optimistisch."
Kritiker*innen befürchten etwa, dass die Wehrpflicht militärische Denkmuster in die Zivilgesellschaft trägt oder alte Rollenklischees befördert. "Die Forschungslage relativiert einige dieser Thesen", sagt der Militärsoziologe Heiko Biehl.
Ältere Menschen eher für die Wehrpflicht
Vor allem ältere Menschen befürworten die Wehrpflicht, so Biehl. Weil sie davon nicht mehr betroffen sind, so die These.
"Die Alten wollen die Wehrpflicht, weil sie sie nicht mehr betrifft."
Wie wirken sich Wehrpflicht oder Freiwilligkeit auf unsere Gesellschaft aus? Wie beeinflusst die Wehrform unsere Sicherheitspolitik und eine mögliche Kriegsführung? Welche Folgen hat sie für unsere Volkswirtschaft? Und nicht zuletzt: Wie steht es um die Gerechtigkeit?
Auf diese und weitere Fragen gibt Heiko Biehl in seinem Vortrag Antworten.
"Streitkräfte, die auf Verteidigung fokussieren, tendieren zur Wehrpflicht. Streitkräfte, die auf Intervention ausgerichtet sind, tendieren zu Freiwilligen-Armeen."
Er stellt Erkenntnisse des aktuellen militärsoziologischen Forschungsstands vor, ordnet sie ein und liefert so wertvolle Hintergründe und eine sachliche Grundlage für die aktuelle Diskussion. Aus der Sicht der empirischen Militärsoziologie plädiert er für einen entspannteren Umgang mit der Frage "Wehrpflicht: ja oder nein?".
"Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Relevanz und der Impact, die Wirkung der Wehrpflicht, generell überschätzt werden."
Heiko Biehl ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Er leitet den Forschungsbereich Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam.
Seinen Vortrag "Die Wehrpflicht — mehr als ein Rekrutierungstool? Thesen und Befunde zu einer Form des militärischen Dienstes" hat er am 30. September 2025 gehalten, also noch bevor die erzielte Einigung zum Wehrdienst zwischen Union und SPD wieder geplatzt war. Den Vortrag hat das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) veranstaltet.
- Beginn des Vortrags
- Die zentralen Fragen des Vortrags
- Die Rolle der Wehrpflicht für das Verhältnis der Bürger*innen zum Staat
- Die Auswirkungen der Wehrpflicht auf die Sicherheitspolitik und die Kriegsführung
- Die Erkenntnisse der Militärsoziologie über die Wirkung der Wehrpflicht
- Fazit
- Vorschau auf die nächste Hörsaal-Folge
