308 Frauen wurden 2024 durch geschlechtsspezifische Gewalt in Deutschland getötet. Gleichzeitig steigen häusliche, sexualisierte und digitale Übergriffe. Wir ordnen die neuen Zahlen ein – und fragen: Was braucht es, um Frauen besser zu schützen?
Der stetige Anstieg der Zahlen ist besorgniserregend und zeigt einen deutlichen Trend: 2020 gab es mit dem Beginn der Pandemie einen Anstieg bei häuslicher Gewalt.
Fast zehntausend Gewalttaten mehr als im Vorjahr
2021 gingen die Zahlen leicht zurück, danach stiegen sie bis 2024 auf fast 266.000 Gewalttaten an - fast 10.000 mehr als im Jahr zuvor - fasst unsere Korrespondentin Gudula Geuther die Entwicklung der vergangenen Jahre zusammen. Laut Bundeskriminalamt sind knapp 80 Prozent der Opfer Frauen.
Gudula Geuther betont, dass die tatsächliche Dunkelziffer laut Bundeskriminalamt noch weit darüber liegen dürfte.
Es gibt aber auch Männer, die Gewalt erleben. In diesem Bereich besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, weil viele Fragen offen sind – etwa, ob die Täter überwiegend Frauen oder Männer sind.
"Tut die Politik schon ausreichend viel, um Frauen vor Gewalttaten zu schützen? Nein."
Es geht zum einen um häusliche Gewalt, also körperliche, sexualisierte oder psychische Gewalt zu Hause oder in der Partnerschaft. Das betrifft sowohl Erwachsene als auch Kinder.
Der zweite Bereich ist Gewalt speziell gegen Frauen. Dabei geht es vor allem um frauenfeindliche Motive, Hasskriminalität, aber auch um Menschenhandel und Femizide.
Die einzige Ausnahme sind Tötungsdelikte, da sind die Zahlen leicht rückläufig, sagt unsere Korrespondentin Gudula Geuther.
Mögliche Ursache für den Anstieg der Zahlen von häuslicher Gewalt
Mehr Gewalttaten gegen Frauen würden gemeldet, aber das sei nicht der unbedingt der Grund für den Anstieg, so der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch, berichtet unser Korrespondentin.
Als eine Ursache für den Anstieg häuslicher Gewalt nennt Holger Münch wieder stärker ausgeprägte patriarchale Rollenbilder, die unsere Gesellschaft zunehmend prägten.
"Die Zahlen sind viel zu hoch und die Zahlen sind ja immer viel zu hoch, weil natürlich jedes Opfer ein Opfer zu viel ist. Dazu kommt: Die Zahlen steigen."
Auf einer Pressekonferenz (21.11.2025) zur häuslichen Gewalt in Deutschland hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt festgestellt, dass die Politik noch nicht genug unternimmt. Unsere Korrespondentin hat diese Pressekonferenz für uns vor Ort mitverfolgt. Als recht selbstkritisch hat sie die Einschätzungen der Regierungsmitglieder bei der Pressekonferenz empfunden, sagt Gudula Geuther.
Bisherige Maßnahmen zum Schutz und zur Prävention reichen nicht
Die bereits bestehenden Schutz- und Präventionsmaßnahmen können sehr unterschiedlich sein, sagt Gudula Geuther.
Hilfetelefone, Frauenhäuser, aber auch die Arbeit mit Tätern gehören beispielsweise dazu. Bisher fehlen aber die Gelder, um ein ausreichendes Angebot bereitzustellen, sagt unsere Korrespondentin Gudula Geuther.
Kosten für Folgen von Gewalttaten sehr hoch
Dabei wäre es für den Staat günstiger in Schutz und Prävention zu investieren, als für die Folgen von Gewalttaten zu bezahlen, sagt Isabella Spiesberger. Sie ist als Trainerin in der Arbeit mit Tätern von häuslicher Gewalt aktiv und beruft sich auf europäische Studien, die die Kosten für Gerichte, Polizeieinsätze, ärztliche Behandlungen und Krankschreibungen untersucht haben.
Gewalt gegen Frauen: Deutschland testet bereits das "Spanische Modell"
Um Opfer künftig besser schützen zu können, ebnet das Bundeskabinett Wege für neue Maßnahmen. Gesetzentwürfe wollen die Befugnisse von Familiengerichten erweitern. Dies soll zum Schutz und zur Prävention dienen. Ein Beispiel ist die elektronische Fußfessel: In Spanien überwacht man bereits seit 2009 verurteilte Gewalttäter damit.
Frühere Opfer oder akut Bedrohte, sowie zum Teil auch deren Kinder, erhalten GPS-Tracker, die sie über den Aufenthaltsort einer Person informieren, die beispielsweise aufgrund einer Straftat eine elektronische Fußfessel trägt. Das "Spanische Modell" wird seit März in Nordrhein-Westfalen in ausgewählten Fällen eingesetzt.
Spanien: Gerichte, die auf häusliche Gewalt spezialisiert sind
Ein weiterer Vorteil Spaniens: Dort gibt es Gerichte, die sich speziell auf Fälle häuslicher Gewalt spezialisiert haben.
Täterarbeit: Wo Gewalt ihren Ursprung hat
Laut dem BKA-Präsidenten kann es Zusammenhänge geben zwischen Kindheitserfahrungen und späterem Gewalthandeln: Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt erlebt haben, werden eher selbst zu Tätern oder zu Opfern – berichtet Gudula Geuther.
Die Psychologin Isabella Spiesberger leitet Gruppen- und Einzeltrainings mit Menschen, die Gewalt ausgeübt haben. Viele kommen freiwillig, etwa in Krisensituationen, weil sie ihr eigenes Verhalten reflektieren wollen.
"Hier geht es anders als beim klassischen Anti-Gewalt-Training nicht nur um die einzelne isolierte Situation, sondern es geht auch insbesondere darum, wiederkehrende Muster aufzudecken."
Zu Beginn wird in diesen Trainings, die über ein Dreivierteljahr gehen, besprochen, was die einzelnen Teilnehmer unter Gewalt verstehen.
Meist definieren sie Gewalt als etwas physisches und sind sich nicht bewusst darüber, dass sie auch psychische, sexuelle oder ökonomische Gewalt ausgeübt haben können. Das Training schafft bei den Tätern somit ein Bewusstsein für verschiedene Arten von Gewalt.
In Gesprächen werden aber auch einzelne Situationen besprochen, in denen es zu Gewalt im häuslichen Umfeld gekommen ist. Dabei geht es darum, wiederkehrende Muster aufzudecken, sagt Isabella Spiesberger.
"Das ist ein großere Aha-Moment: Die Erkenntnis: Ich kenne das schon und ich wollte das nicht und ich tue das jetzt wieder meinen Kindern an."
Ein Moment der Einsicht sei es oft, sagt die Psychologin, dass Täter die selbst in ihrer Kindheit miterlebt haben, wie beispielsweise ihre Eltern gewaltvoll miteinander umgegangen sind, feststellen, dass sie als Erwachsene nun selbst Gewalt ausüben. Obwohl sich manche Täter ausrücklich vorgenommen hatten, sich nicht wie ihrer Eltern verhalten zu wollen.
Worauf wir achten können
Isabella Spiesberger sagt: Opfer von häuslicher Gewalt ziehen sich oftmals aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Es ist wichtig, diese Signale wahrzunehmen und im Zweifel nachzufragen, wie es der betroffenen Person geht.
Außerdem betont sie: Nicht alle Betroffenen nehmen Hilfsangebote an. Aber ein wichtiger Schritt sei es, informativ und unterstützend im Umfeld aktiv zu sein – etwa durch Flyer oder Gespräche.
Die vollständigen Interviews mit unserer Korrespondentin und einer Expertin zum Thema "Gewalt gegen Frauen" könnt ihr hören, wenn ihr oben auf dieser Seite auf den Playbutton klickt.
Betroffene von häuslicher Gewalt können sich an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen wenden 0800 011 60 16.
Das Hilfetelefon bei Gewalt gegen Männern ist erreichbar unter: 0800 123 99 00.
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