Der Begriff Femizid beschreibt die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Aber diese Definition ist problematisch und wirkt sich auf die Statistik aus. Deutschlandfunk-Nova-Reporter Przemek Żuk hat sich die Zahlen genauer angeschaut.
Gewalt gegen Frauen nimmt in unserer Gesellschaft viele Formen an. Sie ist psychisch, körperlich, sexualisiert und wirtschaftlich. Aber gipfelt sie wirklich fast jeden Tag in einem Femizid? Das ist die Zahl, die in dem Zusammenhang oft genannt wird, aber daran gibt es von unterschiedlichen Seiten Zweifel.
"Uns ist es ja nicht wichtig, dass es möglichst viele Fälle gibt. Uns ist wichtig, dass mit den Fällen, die es gibt, angemessen umgegangen wird."
Es sei vor allem wichtig, dass mit den existierenden Fällen richtig umgegangen werde – egal wie viele es sind. Das sagt Elena Bleck, sie ist eine der Forscherinnen des Teams Feminizidmap. Das Team ist dabei, eine Datenbank aufzubauen, in der Fälle mit bis zu 50 Kriterien typisiert werden können. Die Hoffnung: Eine klarere Datenlage könnte zukünftig auch besser helfen, Femizide zu verhindern.
"Mit den aktuellen statistischen Daten, die wir haben, lässt sich die Definition eines Femizids, nämlich: Eine Frau wurde getötet, weil sie eine Frau ist, nicht sicher und nicht zuverlässig nachweisen."
Das Problem mit den aktuellen Zahlen ist: Sie können nicht zuverlässig beweisen, dass ein Femizid auch wirklich ein Femizid ist, erklärt Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft.
Laut Definition ist es ein Femizid, wenn eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist. Daten zu Femiziden werden jedoch über das Bundeskriminalamt erfasst, sie stammen also aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Und die wiederum erfasst keine Motivation. "Deswegen gibt es eine Behelfsdefinition, mit der man sich helfen kann. Und die sagt, das sind eben Tötungsdelikte oder vorsätzliche Tötungsdelikte, die überwiegend Mädchen und Frauen betreffen", so Katharina Schüller.
Nicht jede getötete Frau ist ein Femizid
Nur: Die BKA-Statistik zählt am Ende alle Tötungsdelikte an Frauen. Im Jahr 2023 wurden demnach 360 Frauen getötet. Aber nicht jeder Fall war ein Femizid. Ein Sprecher des Bundeskriminalamts schreibt dazu: "Es bleibt aber festzuhalten, dass die Wahl des Begriffs 'Femizid' zur Bezeichnung der Gesamtzahl der Tötungsdelikte an Frauen trotz der entsprechenden Einordnungen missverständlich war, weil zur Tatmotivation keine Informationen in der PKS enthalten sind und diese auch nicht in jedem Fall eindeutig ist beziehungsweise dem Begriff 'Femizid' zuzuordnen ist. Das BKA strebt für die nächste Veröffentlichung des Lagebilds eine eindeutigere Bezeichnung an." Im neuen Lagebild, das im November 2025 veröffentlicht wurde, wird der Begriff Femizid nicht mehr benutzt.
Katharina Schüller hat die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewertet, statistisch abgeleitet nach der Behelfsdefinition. 2023 ergibt das 249 Femizide, 2024 dann 202 Fälle. Die Zahlen sind also kleiner als die, die öffentlich kommuniziert wurden. Das Problem, auf das sowohl Katharina Schüller als auch das BKA hinweisen, ist demnach die sehr schwammige Definition von Femizid.
Datenlücke soll geschlossen werden
Inzwischen gibt es schon viel Forschung, die sich mit klareren Definitionen beschäftigt, besonders aus Lateinamerika. Und darauf bezieht sich auch das Projekt Feminizidmap, das versucht, die Datenlücke in Deutschland zu schließen. "Eigentlich machen wir vor allem Dokumentationsarbeit. Das bedeutet, dass wir versuchen, tagesaktuell alle Fälle von geschlechtsspezifischen Tötungen oder Tötungsversuchen zu erfassen", sagt Elena Bleck.
Die Datenbank, an der sie und ihr Team arbeiten – mit bis zu 50 Kriterien zum Typisieren von Femiziden – soll kommendes Jahr online gehen. "Wir erfassen zum Beispiel, ob es Hinterbliebene gibt, also ob Kinder mitbetroffen sind von der Gewaltform", so Elena Bleck. Femizidmap erfasst außerdem, ob es bereits eine Anzeige gab, ob im sozialen Umfeld bereits von Gewalt berichtet wurde – ohne dass es zur Anzeige kam. Oder ob die betroffene Frau vielleicht sogar vorhatte, Anzeige zu erstatten.
"Wir erfassen, ob es schon vorherige Anzeigen wegen Gewalt gab, ob es Kontaktverbote oder Annäherungsverbote gab."
Aber auch das Team von Feminizidmap stößt auf Hindernisse bei der Arbeit. Denn sie arbeiten mit öffentlich verfügbaren Infos. Das heißt, sie sind auf Berichterstattung angewiesen, etwa über Prozesse. Und bei bestimmten betroffenen Gruppen, wie zum Beispiel wohnungslosen Frauen oder Sexarbeiterinnen, gibt es oft deutlich weniger Medienaufmerksamkeit.
Auch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeitet derzeit an einer "operationalisierbaren Definition von Femiziden". Mit Ergebnissen ist im ersten Halbjahr 2026 zu rechnen. Ein langer Weg, wenn man bedenkt, dass eine einheitliche und klare Definition nur die Grundlage dafür bildet, um Gewalt an Frauen und Femizide besser zu verhindern.
